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Indigo (German Edition)

Indigo (German Edition)

Titel: Indigo (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Clemens J. Setz
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ließ ihn sogar manchmal Dinge ausprobieren, die er in Filmen gesehen hatte. Sie war geduldig. Und selbst wenn sie Kopfschmerzen oder Migräne bekam, schob sie es nicht auf ihn. Sie war wohlerzogen.
    – Ich geh nur kurz, sagte Robert und stand auf.
    – Okay, sagte Cordula.
    Er ging aus dem Zimmer und stand da.
    Wie machen das die Männer, die sagen, ich gehe nur kurz Zigaretten holen, und dann nie wieder auftauchen? Es muss sie doch geben, irgendwo auf der Welt laufen sie alle herum, diese Horden Zigaretten-Flüchtlinge, sie sitzen in kalten Hotelzimmern, ohne Reisepass, ohne Kreditkarte, ohne viel Bargeld, und warten. Worauf? Vielleicht ist es ein uraltes Geheimnis der Zigarettenautomaten selbst, ein geheimer Code, den man durch Drücken verschiedener Markenknöpfe eingibt, und dann öffnet sich die Box mit einem zischenden hydraulischen Geräusch und gibt einen Gang in die Unterwelt frei. Von allen Städten der Erde, durch die Öffnungen an Straßenecken und in Wänden öffentlicher Toiletten, steigen die Männer hinab in die Stollen, begrüßen einander mit einemknappen Nicken, denn ihnen ist nicht nach Sprechen zumute, viel zu lange sind sie zu Hause von ihren Frauen und Kindern gefragt worden, wie es ihnen geht und wohin sie gehen und wann sie wiederkommen, und sie folgen den leuchtenden Hinweisschildern bis zur Großen Unterirdischen Transitstation, dem geheimen Umschlagplatz all jener, die aus ihrem Leben aussteigen wollen. Unter den großen Neonschildern, auf denen die Logos der Zigarettenfirmen leuchten, warten sie auf riesigen Plattformen, jeder allein, jeder in sich gekehrt, auf ihre weiteren Verbindungen. Bärtige Gestalten in Trenchcoats, mit Kappen und Sonnenbrillen. Auch junge Männer sind darunter, gerade erst erwachsen geworden und dann eine Frau geschwängert, das haben sie nicht ausgehalten und sind jetzt hier, verängstigt und schüchtern, und zittern im U-Bahn-Wind ihrer ungewissen Zukunft, ihrem Exil entgegen. Dann tauchen schwarze, nur innen beleuchtete Unterwelt-Züge auf, die sich durchs Erdreich graben, und bringen die Aussteiger in weit entfernte Städte, nach Singapur, St. Petersburg, Kapstadt, Los Angeles. In den Waggons ist es so still wie in Truckstops mitten in der Wüste, die Passagiere reden nicht viel, manche murmeln vielleicht ein wenig vor sich hin, während die anderen ihre Mobiltelefone zerlegen oder mit einem Hammer kaputt schlagen. Ortungschips aller Art verschwinden in versiegelbaren Bleicontainern, die in jedem Abteil hängen. Und es gibt auch jene, die nie einen der Züge nehmen und in weit entfernten Städten des Globus wieder auftauchen, mit falschem Namen und neuer Frisur, nein, einige gewöhnen sich an die Kühle und die eigenartige Frische der Luft dort unten in den Transitstollen, an das flimmernde Neonlicht der Zigarettenwerbung, an die McDonald’s-Schalter, die von Blinden betrieben werden, und sie setzen sich hin und denken sich: Morgen, morgen nehme ich einen Zug, und für diese eine Nacht bleibe ich einfach hier sitzen. Und dann schlafen sie ein und überstehen, ohne dass es ihnen bewusst wird, die berühmte erste Nacht . Und danach sind sie frei, sie bleiben in den Tunnelsystemen und verbessern sie, bauen sie aus. Es ist wichtig, dass es sie gibt, dennohne sie würden die Tunnelsysteme und die künstliche Beleuchtung und die Züge nicht existieren. Ist ja nicht alles einfach so in der Erde gewachsen. Alles von Menschenhand gebaut, über Jahrhunderte, wie eine unterirdische Ameisenstadt, vom ersten, unbekannt gebliebenen Aussteiger an, der mit seinen Fingernägeln an der Mauer neben dem Zigarettenautomaten kratzte und sich wünschte, die Erde möge ihn verschlucken – ihm folgten Millionen von einsamen Männern, die keinen Kontakt mehr mit ihrer Vergangenheit und Familie wollten und die sich mit bloßen Händen oder primitivem, beim Weggehen aus der Wohnung zufällig eingestecktem Werkzeug ins Erdreich gruben, für immer fernab vom heimischen Herd – 
    – Woran denkst du?
    Cordula legte ihm von hinten einen Finger auf den Kopf und fuhr die Schädelnaht entlang, in improvisierten Zickzacklinien. Wie der Tonabnehmer einer Grammophonnadel.
    – Warum fragen das Frauen immer?, antwortete er.
    Robert zog ein T-Shirt an, auf dem Dingo Bait stand. Eigentlich war das Hemd ein Weihnachtsgeschenk für Cordula gewesen, aber als sie es ausgepackt hatte, war sie entsetzt gewesen. Er erklärte ihr, dass es als Spaß gemeint war, dass er kein Problem mit dem

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