INFAM - Die Nacht hat tausend Augen (German Edition)
vernahm sie gedämpfte Stimmen aus dem Fernsehapparat. Sonst nichts. Sie ging zurück ins Wohnzimmer.
7
Denise saß bereits wieder – inzwischen vollständig angezogen - auf der Couch und zappte mithilfe der Fernbedienung durch die TV-Kanäle.
„Du siehst besorgt aus.“
Sarah setzte sich neben sie. „Nee, ist alles okay. Die Stimme vorhin … ich kann es mir immer noch nicht erklären. Dann dreh ich gerade den Wasserhahn auf und da kommt so eine Rostbrühe raus. Ich dachte erst, das wäre Blut.“
Denise schaute sie ernst an. „Das ist ein altes Haus, die Ashmores wohnen noch nicht lange hier und das hier unten scheint eher ein Gäste-WC zu sein. Ich hab mich ja gewundert, dass ich überhaupt ein Pflaster in dem kleinen Raum gefunden habe. Möglicherweise wurde der Wasserhahn ewig nicht benutzt und die Rohre sind verdreckt und rostig.“
„Ja, das dachte ich mir dann auch.“
„Was macht dein Fuß?“
„Ich spüre die Wunde kaum noch. Danke nochmal meine hübsche Krankenschwester.“ Sarah lächelte Denise an.
„Hey, das ist doch mein Job. Na ja zumindest früher mal gewesen. Und für dich mache ich das gern.“ Sie lächelte ebenfalls und schaute dann in Richtung Fernseher. „Guck Sarah, das ist jetzt genau das Richtige, um deine Stimmung wieder aufzulockern.“
Es lief eine Comedy-Show namens „Funny and nasty“, bei der ein Typ sich immer verkleidete und Leuten auf der Straße Streiche spielte. Dabei übertrieb er es gerne und brachte seine Opfer regelmäßig zur Weißglut. Die Sendung war ein ziemlicher Renner und auch Sarah hatte bereits ein paar mal reingeschaut. Jetzt gerade wurde eine Szene gezeigt, in welcher der Comedian - schick zurecht gemacht mit feinem Anzug und Seitenscheitel - eine Fleischerei betrat. Die Bedienung hinter dem Tresen, eine wohlgenährte Frau mit rotem Gesicht, die aussah als würde sie das, was sie verkaufte, auch selbst nicht verschmähen, fragte ihn freundlich nach seinem Wunsch. Er hätte gerne 250 Gramm Fleischwurst in Scheiben, sagte der Mann.
„Gerne“, erwiderte die Verkäuferin und machte sich an die Arbeit. Sie schnitt einige Scheiben von der Wurst ab und legte sie auf die Waage. 260 Gramm. Sie fragte, ob es auch etwas mehr sein dürfte. Er hätte gerne genau 250 Gramm, antwortete der Mann freundlich, aber entschieden. Nachdem die Verkäuferin eine Scheibe wieder entfernte, blieb die Waage bei 246 Gramm stehen.
„Gleich haben wir es geschafft“, sagte der Mann aufmunternd. Wenig später sah man die Frau eine Scheibe mit dem Messer halbieren. Als die Waage ungefähr 253 Gramm anzeigte, bot sie an, dass die 3 Gramm aufs Haus gehen würden. Der Mann bedankte sich, merkte aber an, dass 253 Gramm nicht die Menge wären, die er wünschte.
„Der ihr Kopf wird immer roter. Gleich gibt es einen Knall und er platzt“, sagte Denise lachend.
Auch Sarah konnte sich ein Lächeln nicht verkneifen, auch wenn ihr die Verkäuferin etwas leid tat. Diese schnitt noch ein Stück von der halben Scheibe Fleischwurst ab. Inzwischen warteten bereits weitere Kunden. Einer davon, eine ältere Frau mit schneeweißen Locken, fragte den Mann, ob er immer so pedantisch sei. Dieser wandte sich der Dame zu und erklärte ihr, dass Ordnung das halbe Leben sei und sie das, wenn sie etwas reifer wäre, auch noch lernen würde. Nun zeigte die Waage genau 250 Gramm an; die Gesichtsfarbe der Verkäuferin hellte sich ein wenig auf. Nur wenig später wurde sie allerdings dunkelrot wie das Fruchtfleisch vollreifer Blutorangen, als der Mann noch 278 Gramm Kalbsleberwurst bestellte. Ärgerliches Gemurmel ging durch die Reihen der wartenden Kundschaft. Die Verkäuferin begann hitzig mit dem Mann zu diskutieren und verschwand von der Bildfläche. Wenig später erschien eine deutlich jüngere Kollegin, deren Gesichtsfarbe um einiges gesünder aussah.
„Wie gemein“, sagte Sarah und grinste, als der Mann auch diese schier zur Verzweiflung brachte. Nach fünf weiteren Minuten, als die Waage gerade 280 Gramm anzeigte und immer mehr abgeschnittene Wurststücke die Theke füllten, holte die Verkäuferin ihren Chef – einen Metzger wie man ihn sich vorstellt, kräftig wie ein Baumstamm. Dieser schnibbelte noch etwas an der Wurst herum, bis das gewünschte Gewicht erreicht war. Als der Comedian als nächstes 219 Gramm Kümmelsülze bestellte, drohte die Kundschaft hinter ihm zu einem verärgerten Mob zu werden und auch der Metzger bedachte ihn mit wenig freundlichen Gesten und
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