INFAM - Die Nacht hat tausend Augen (German Edition)
und schaute zu Boden.
„Hör zu. Vielleicht hast du auch nur gemeint, etwas zu hören. Ich hatte so etwas auch schon. Es ist niemand hier. Und wenn draußen wirklich jemand war, dann ist er jetzt verschwunden.“
Sarah sah auf. „Woher willst du das so genau wissen?“ Sie dachte an die hinkende Gestalt, der sie auf dem Hinweg begegnet waren und dann fiel ihr Blick, an Denise vorbei, zur Terrassentür. Dort gab es weder Jalousien noch Vorhänge. Sie war so heiß auf Denise gewesen, dass ihr gar nicht aufgefallen war, dass man ihre Darbietung von draußen sehr gut hätte verfolgen können. Denise zuckte mit den Schultern.
„Soll ich nachsehen?“
„Untersteh dich“, sagte Sarah eindringlich. „Okay, vergessen wir das. Vielleicht habe ich mir das wirklich nur eingebildet“, fügte sie hinzu, klang dabei aber wenig überzeugt. Denise drückte sanft ihre Schulter.
„Ich mach die Scherben weg.“
„Und ich gehe ins Bad.“ Sarah griff sich ihre Handtasche und stand auf.
Sarah betrat den Flur und suchte an der Wand nach einem Lichtschalter, konnte jedoch keinen finden. Sie ließ die Tür zum Wohnzimmer ein gutes Stück weit offen, damit das Licht von dort den Flur zumindest ein wenig erhellte. Links führte eine Treppe in das Obergeschoss des Hauses, wo der kleine Sid jetzt, wie sie hoffte, friedlich schlummerte und womöglich von lustigen Abenteuern mit Ernie und Bert aus der Sesamstraße, oder mit Piraten träumte.
Sarah durchschritt den Flur und öffnete die erste Tür auf der rechten Seite. Dort fand sie den Lichtschalter auf Anhieb. Ein kleine Toilette lag vor ihr. Die Bezeichnung Badezimmer wäre kaum zutreffend gewesen, in Anbetracht der Tatsache, dass der winzige Raum kaum viel mehr als ein Klo und ein Waschbecken enthielt. Sarah betrachtete sich im Spiegelschrank, der über dem Becken hing. Ihre Frisur war bei dem Sex mit Denise ganz schön durcheinander geraten. Sie nahm eine kleine Bürste aus ihrer Handtasche und kämmte sich die Haare. Die Stimme, die sie in der Küche gehört hatte, wollte ihr noch immer nicht aus dem Kopf gehen. Aber vielleicht war wirklich der Alkohol Schuld gewesen und sie hatte sich diese nur eingebildet. Sie steckte die Bürste zurück in die Handtasche und drehte den Wasserhahn auf. Entsetzt machte sie einen Schritt zurück. Ein Schwall Blut sprudelte in das Waschbecken. Sarah hielt sich die Hände vor den Mund und riss die Augen auf. Die dunkelrote Flüssigkeit verschwand wirbelnd in den Abfluss und stattdessen kam jetzt klares Wasser aus dem Hahn. Sarah suchte fieberhaft in ihrem Kopf nach einer Erklärung für diesen Vorfall und begann sich langsam zu entspannen. Wahrscheinlich war das mit Rost oder Dreck vermischtes Wasser gewesen, das nur im ersten Moment so ausgesehen hatte wie Blut. Ja, so musste es sein, dachte sie. In alten Häusern konnte so etwas schon einmal vorkommen. Vermutlich wurde der Wasserhahn hier heute zum ersten Mal seit Jahren aufgedreht. Es gab bestimmt oben noch ein richtiges Badezimmer, das Richard und seine Familie benutzten. Sarah atmete tief durch und spritzte sich ein wenig Wasser ins Gesicht. Die Erklärung, die sie gerade gefunden hatte, erschien ihr einleuchtend, dennoch wollte ein dringliches Gefühl des Unbehagens nicht weichen. Eine innere Stimme sagte Sarah, dass hier irgendetwas nicht stimmte. Sie fühlte sich plötzlich beobachtet und riss den Kopf nach links hoch zu einem kleinen, viereckigen Fenster, direkt unter der Decke des Raums. Sie sah lediglich die Schwärze der Nacht. Falls jemand da draußen war, müsste er schon auf etwas klettern, um überhaupt durch das Fenster gucken zu können. Auf dem Fenstersims lagen an der linken Seite zwei Rollen Klopapier und in der Mitte saß eine kleine, bronzefarbene Buddha-Figur, die ihre Augen in der Tat auf Sarah gerichtet zu haben schien. Sarah machte zwei Schritte auf die Figur zu und betrachtete sie genauer. Der Buddha hatte einen großen kahlen Kopf, lachte und enthüllte dabei einen zahnlosen Mund. Auf Sarah wirkte der Gesichtsausdruck irgendwie höhnisch und beinahe bedrohlich. Sie assoziierte mit Buddha Sanftmut und Frieden, was diese Figur so gar nicht ausstrahlte. Sarah fand sie hässlich. Sie wandte ihren Blick ab, trocknete sich mit einem gelben Handtuch, das neben dem Waschbecken hing, die Hände ab und verließ die Toilette. Vor der Tür hielt sie kurz inne und lauschte. Von draußen hörte sie leise den Wind, der um die Mauern des Hauses pfiff, und aus dem Wohnzimmer
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