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Infam

Infam

Titel: Infam Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: K Ablow
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aber ich hab mit Nantucket nichts am Hut«, gab ich zurück. »Und ich spekuliere nicht mit Aktien.«
    »Gestern Abend waren sie in den überregionalen Nachrichten«, fuhr er fort.
    »Ich sehe mir auch keine Nachrichten an, wenn ich’s vermeiden kann.«
    »Eins seiner kleinen Mädchen, Zwillinge, wurde gestern tot in seiner Wiege gefunden. Fünf Monate alt.«
    Ich schloss die Augen und ließ mich gegen die Wand sinken. Ich hatte schon mit Familien gearbeitet, die ein Kind durch Krippentod verloren hatten, eine unvorhersehbare Störung, die die Atmung eines Säuglings unterbricht und ihn im Schlaf dahinrafft. »Plötzlicher Kindstod«, sagte ich.
    »Möglicherweise … Wir sind uns nicht ganz sicher. Es gibt zwei ältere Adoptivsöhne in der Familie – sechzehn und siebzehn Jahre alt. Der jüngere ist in der Vergangenheit durch gewalttätiges Verhalten aufgefallen. Richtig üble Sachen, hat sogar einige Nachbarskatzen stranguliert.«
    Mir war klar, welche Richtung die Unterhaltung nahm. Und mir war klar, dass Trevor Lucas mir den Mut genommen hatte, diesem Weg zu folgen. »Ich übernehme keine Kriminalfälle mehr«, erklärte ich.
    »Hab ich gehört. Der Chief in Baltimore hat mir erzählt, er hätte ein-, zweimal versucht, dich zu überreden«, sagte er.
    »Viermal.«
    »Daraus kann ich ihnen keinen Vorwurf machen. Du hast eine Gabe für so was.«
    »So kann man es auch sehen«, entgegnete ich.
    »Ich erwarte keine großen forensischen Ermittlungen«, sagte er, »sondern nur ein Gutachten.«
    »Die Antwort lautet trotzdem Nein.«
    »Ich unterschreibe eine Honoraranweisung, für was auch immer dir angemessen erscheint.«
    »Himmel, North, du weißt, dass es keine Frage des Geldes ist.«
    »Hör zu«, sagte er. »Der Staatsanwalt sitzt mir im Nacken. Er will den jüngeren Bruder verhaften und unter Mordanklage stellen. Er will, dass das Erwachsenenrecht angewendet wird, und auf lebenslänglich ohne Möglichkeit auf vorzeitige Entlassung plädieren.«
    Nur wenige Dinge machen mich wütender als ein Justizsystem, das die Chronologie im Dienste der Rache auf den Kopf stellt, und Anderson wusste das. Ich schwieg.
    »Er ist erst sechzehn«, fuhr Anderson fort. »Die Bishops haben ihn aus einem russischen Waisenhaus adoptiert, als er sechs war. Wer weiß, welche Hölle er davor durchmachen musste.«
    »Ich habe hier mehr als genug zu tun«, sagte ich, teilweise, um es mir selbst ins Gedächtnis zu rufen.
    »Ich will dich nicht drängen, aber irgendwas an dieser Familie kommt mir merkwürdig vor – besonders die Art, wie der Vater den roten Teppich für mich ausgerollt hat, als ich seinen Sohn vernehmen wollte. Du bist der Beste, mit dem ich je …«
    »Ich versuche, mich auf meine Ziele zu konzentrieren.« Ich versuchte auch, nüchtern zu bleiben, von geistig gesund ganz zu schweigen. »Warum rufst du nicht Ken Sklar oder Bob Caggiano vom North Shore Medical Center an? Sie sind Kollegen von Judith David. Du kennst die Truppe. Sie sind erstklassig.«
    »Nur ein Gespräch mit dem Jungen«, drängte er. »Das ist alles, worum ich dich bitte.«
    Ich wollte Anderson nicht enttäuschen, wusste aber nicht, wie weit ich mich in die Finsternis vorwagen konnte, ohne mich für immer darin zu verlaufen. »Wenn du willst, dass ich Sklar anrufe und ihn um den Gefallen bitte, dann tue ich das.«
    »Ich will dich.«
    »Nein«, entgegnete ich, »du willst einen Teil von mir, den ich vor zwei Jahren hinter mir gelassen habe.« Ich gab ihm keine Gelegenheit, etwas zu erwidern. »Hör zu, ich muss mit meiner Visite weitermachen.«
    »Frank …«
    »Ich rufe dich bei Gelegenheit mal an.« Ich legte den Hörer auf.

2
    Ich holte meinen schwarzen Ford F-150-Pick-up aus dem Parkhaus des Mass General, bog nach rechts auf den Storrow Drive ab und hielt auf die Tobin Bridge Richtung Chelsea und East Boston zu. Ich wollte North Anderson und die Bishops aus meinen Gedanken verbannen, meine Distanz zum Tod wahren. Früher brauchte ich dazu eine halbe Flasche Scotch und ein Gramm Kokain, doch ich wusste, dass ich mich mit meinem rituellen Kaffee im Café Positano, einer Collage aus Mahagoni, Marmor und Messing inmitten einer heruntergekommenen Ladenzeile, eingezwängt zwischen einem Partywarengeschäft und einem Kramladen, würde bescheiden müssen.
    Ich parkte vor dem Café, ging hinein und trat an die Espresso-Theke. Mario Graziani, ein breitschultriger, immerwährend sonnengebräunter Mittfünfziger mit einer Tätowierung des Kolosseums auf seinem

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