Infektion - Tripp, B: Infektion - Rise Again
sie den Lauf an, bis er nicht mehr auf ihr Herz zeigte. Sie sah zur Uhr an der Wand hinauf, ohne wahrzunehmen, wie spät es war. Dann blickte sie hinüber zu dem gerahmten Bild von Danny und Amy als Teenager, wie sie gemeinsam auf einem Pferd saßen. Dann schaute sie wieder zur Uhr. Zwanzig Minuten nach Mitternacht. Sie konnte genauso gut alle Karten offen auf den Tisch legen.
Sogar Deine beste Freundin Amy Cutter: Sie ist lesbisch, hat sie Dir das erzählt? Wahrscheinlich nicht. Woher weiß ich das alles nur und Du nicht? Weil niemand daran denkt, dass ich da bin. Ich bin das unsichtbare Mädchen. Ich habe sie alle bei allem beobachtet, und niemand hat mich bei irgendetwas beobachtet, weil ich nichts getan habe. Du bist die große Kriegsheldin mit dem Purple Heart und dem Silver Star. Key to the Mountains und der ganze Kram. Ich bin nur die unglückliche kleine Schwester. Du bist in den Krieg gezogen, und ich habe vier Jahre in Pflegefamilien gelebt und alle schmutzigen Geheimnisse kennengelernt.
Sieben Meter entfernt hörte Danielle Adelman auf, in ihrem schmalen Schlafzimmer auf und ab zu gehen, und stellte den Polizeifunk neben dem Bett lauter. Das Geplapper zwischen Fahrzeugen und Einsatzzentrale unten in der Ebene konnte manchmal den Lärm in ihrem Kopf übertönen. Der Scotch half ebenfalls, ebenso wie die kleinen gelben Pillen. Danny schüttelte ein paar aus der Dose auf den Nachttisch und zog den Knopf des Weckers hoch. Er war auf acht Uhr morgens gestellt, was bedeutete, dass Danny um sechs aufwachen würde, um den Wecker auszuschalten. Oder um fünf oder vier. Sie brauchte den Wecker nicht, doch wenn er nicht gestellt wäre, würde sie die ganze Nacht wachliegen, um sicherzugehen, dass sie den Morgen nicht verschlief. Diese Nacht konnte wegen des verdammten Feiertags besonders übel werden mit den Massen von falsch parkenden, Müll verbreitenden, unachtsam herumlaufenden, stehlenden und randalierenden Touristen. Ganz zu schweigen von der Zeremonie, an der sie teilnehmen sollte.
Danny zog sich die hellbraune Uniformbluse über den Kopf, mit Halstuch und allem. Nicht nötig, die ganze Bluse aufzuknöpfen, nur die beiden oberen Knopflöcher. Sie warf sie zusammen mit der Hose auf den Schaukelstuhl. Sie würde die gesamte Uniform am Morgen bügeln, bevor sie sich als eine Art Vorbild für die Schwachköpfe von Forest Peak auf den Weg in die Stadt machte. Vor allem ihre drei chaotischen Deputys. Danny blickte in den hohen Badezimmerspiegel, der ihrer Mutter gehört hatte, und zog eine Augenbraue hoch. Dunkelrotes Haar, strenge Gesichtszüge und eine straffe, weibliche Figur mit einem Hintern, von dem man Steaks abschneiden konnte, wie Harlan zu sagen pflegte, bevor er in Sadr City über die Bombe gefahren war. Ja, das stimmte. Eine Wahnsinnsfrau. Danny stellte sich mit dem Rücken zum Spiegel und warf einen herausfordernden Blick über die Schulter. Sie sah die Narben. Irgendwann würde sie den Spiegel umdrehen, damit er zur Wand zeigte.
Vorerst genügten ein paar Pillen, hinuntergespült mit den verwässerten Resten des letzten Whiskys an diesem Abend. Sie goss noch ein bisschen nach, ein oder zwei Fingerbreit. Brauchte sie noch Eis? Die Küche war kilometerweit weg, und Kelley schmollte wahrscheinlich auf dem Sofa und schaute irgendeine idiotische Polizeisendung im Fernsehen – die Polizeishow direkt vor ihrer Nase entsprach nicht ihrem Geschmack. Vergiss das Eis. Kipp den Schluck hinunter, direkt in die Kehle, ohne die Zunge zu berühren. Brenn, Baby, brenn. Ihr Schlafzimmer schien seitlich wegzukippen, als sich die Schwerkraft verschob. Bald würde sie ein wenig Schlaf bekommen. Danny fiel zurück aufs Bett und starrte an die sich drehende Decke. Das war ihre Lieblingsshow.
Ich dachte, nach Deiner Rückkehr würde sich alles ändern. Stattdessen hast du Deine Tage damit verbracht, eine Polizistin zu sein, und in den Nächten weiter im Krieg gekämpft, und ich bin noch immer das unsichtbare Mädchen. Du hast die ganze Nacht den Polizeifunk an, aber ich kann hören, was Du nachts im Schlaf schreist. Posttraumatische Belastungsstörung macht keinen schlechten Menschen aus Dir. Dafür aber eine miese Schwester.
Eine dicke Träne fiel auf Kelleys Notizblock. Mit dem Handrücken wischte sie sich über die Augen. Es lag eine süße Tragik darin, einen Brief von solcher Endgültigkeit zu schreiben. All die unterdrückten Gefühle und ungesagten Dinge konnte sie jetzt rauslassen, solange sie nur
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