Inferno - Höllensturz
ungezählte Bezirke und Präfekturen wanderte sie mit ihren neuen Freunden. Machtzauber, Flüche und geheime Magie stellten sich ihnen in den Weg und Xeke hatte sich schon bald als gefährlicher Verräter entpuppt. Immer und immer wieder betraten sie die Hölle, traktierten die Behörden, brachten Luzifers Agenten zur Strecke, zerstörten Kraftwerke und Constablerwachen wie eine Guerillatruppe. Cassie versuchte, die Zeit während dieser Besuche möglichst effektiv zu nutzen: Die Suche nach Lissa stand im Vordergrund, währenddessen bemühten sich die drei überdies, möglichst großen Schaden anzurichten. Einmal hatten sie die dreißig Meter hohe Eisenmauer der Industriezone erklommen und es tatsächlich geschafft, das Zentrale Kraftwerk lahm zu legen, indem sie das Überdruckventil genau in dem Moment schlossen, als der Hochofen geschürt wurde. Es hatte nicht lange gedauert, bis die ausströmenden Gase hochgeschossen waren und die äußere Ummantelung des Kraftwerks – von der Größe eines Fußballfeldes – mit Riesengetöse explodierte. Die Detonation erschütterte den gesamten Distrikt, machte die Gießerei dem Erdboden gleich und ließ sämtliche Knochenmühlwerke in sich zusammenstürzen. Alles zur Stoßzeit. Im Endeffekt hatte die Explosion eine seismische Verschiebung ausgelöst, die zu einem eindrucksvollen Höllenbeben führte und einen 300 Meter langen Graben quer durch die Zone riss. Nicht schlecht für drei Frauen, die in ihrer Welt gerade mal alt genug waren, um in einer Kneipe ein Bier serviert zu bekommen.
Im letzten Herbst war Cassie einmal allein in die Mephistopolis gegangen – ihr war langweilig gewesen, und der CD-PLAYER war kaputt – und sie hatte dort einen Liebeszauber über eine gesamte Constablergarnison gesprochen. Einem nach dem anderen hatte sie befohlen, in die Frischfleisch-Verarbeitungsfabriken am Boniface Square zu gehen und sich dort lammfromm auf die Fließbänder zu legen. Die zahllosen ausgebeuteten Arbeiter in der Fabrik zuckten nicht einmal mit der Wimper, als die Constabler sich widerstandslos der »Verarbeitung« unterzogen; sie wurden bei lebendigem Leib filettiert, Muskeln wurden flink von Knochen gesäbelt, Organe entnommen, Haut abgezogen. Die Einzelteile wurden in die Trichter der unablässig vorbeirollenden Container geworfen. Aus diesen Fabriken bezog die Stadt den Großteil ihrer Nahrung; Cassie gefiel der Gedanke, dass Dämonen sich unwissentlich an den satanischen Ordnungshütern gütlich täten. Ob sie wohl nach Hühnchen schmeckten?
Wieder und wieder war sie mit und ohne ihre toten Freunde in diese archaische Stadt zurückgekehrt, hetzte durch purpurrote Gassen, zerschmetterte Dämonen, Schergen oder Golems mit ihren bloßen Gedanken, demütigte Luzifer bei jeder sich bietenden Gelegenheit, nutzte ihre Kräfte als Ätherkind, um ihren Beitrag zu leisten. Doch nicht nur ihre Kräfte nahmen zu, sondern auch die ihrer Gegner. Die revolutionäre Widerstandsbewegung der Hölle – die Aufständischen von Satan Park – war einst ihr stärkster Verbündeter gewesen, eine ganze Armee antisatanischer Terroristen. Doch eine einzige Glaubensseuche, ersonnen von Luzifers Biomagiern und Erzhexern an der Hochschule für Bannsprüche und Beschwörungsformeln, hatte sie alle auf einen Schlag ausgelöscht. Über Nacht war die millionenstarke Truppe der Aufständischen vernichtet worden, jedes einzelne Mitglied erlag einer von Luzifers Lieblingskrankheiten: Karyolyse, die Höllenversion der Lepra. Der Eiter und schleimige Auswurf all dieser bei lebendigem Leib verfaulenden Aufständischen hatte mitten im Satan Park einen See gebildet, der von Luzifer sofort zum nationalen Wahrzeichen erklärt worden war. Verurteilte Verbrecher und Stadtstreicher wurden nun häufig darin exekutiert.
Doch jedes Mal, wenn Luzifer und seine Handlanger zuschlugen, hatte Cassie zurückgeschlagen. Sie wusste, dass sie verpflichtet war, ihre Ätherkräfte gegen eben jene Instanz einzusetzen, die ihre Schwester gefangen hielt. Via und Hush waren irgendwann verschwunden – entweder zerstört oder gefasst worden – und Cassie war nun ganz allein, doch davon ließ sie sich gewiss nicht aufhalten.
Doch dann war etwas Furchtbares geschehen. Der Grund, warum sie überhaupt in dieser Anstalt war. Vor wenig mehr als einem Monat hatten namenlose Gesandte Luzifers ihr Haus niedergebrannt und ihren Vater getötet. Das Feuer hatte den Totenpass zerstört. Nun, da sie das wahre Wesen der Hölle und ihre
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