Inferno - Höllensturz
wie die welken grünlich grauen Ranken einer Schlingpflanze. »Unsere Zentrale hat uns informiert, dass es Beschwerden über Schreie in dieser Gegend gab. Haben Sie jemanden schreien hören?«
Der alte Mann musste nicht antworten. Aus der Ferne, wie ein Nebelhorn über die Bucht hinweg, konnten sie es nun selbst hören: eine Mischung aus Wimmern, Murmeln und Schreien.
Cooper meinte: »Das ist vollkommen abgefahren.«
»Soweit ich das beurteilen kann, kommt es aus der Nähe des Marktplatzes«, teilte der alte Mann mit.
Ryan überprüfte den Abzug seiner Dienstwaffe und dann das Magazin. »Warte hier und versuch’s weiter bei der Zentrale«, sagte er zu Cooper. »Ich geh mal nachsehen.«
Cooper schluckte nur und nickte.
Sein Partner stieg aus. »Kommen Sie mit, Opi. Zeigen Sie mir, was zum Teufel da los ist.« Mit diesen Worten verschwanden die beiden Männer in der Waschküche aus Nebel. Ryan konnte in regelmäßigen Abständen durch lichte Stellen hindurch etwas erkennen, und sein Verdacht wurde bestätigt, als er das Prasseln hörte und das Flackern entdeckte. Leuchtende Flecke, die nur von einem Feuer stammen konnten.
»Siehst du das, mein Junge?« Der alte Mann zeigte in die Richtung.
»Ja, ich seh’s«, krächzte Ryan zurück. Man konnte jetzt wegen des übel riechenden Rußes, der sich im Mund auszubreiten schien, kaum noch sprechen. Doch ja, er konnte es erkennen: Eine ganze Reihe komfortabler Reihenhäuser, dazwischen einige Geschäfte entlang der Main Street, standen alle lichterloh in Flammen. Manche der Brandherde hatten sich über die Dächer ausgebreitet, wo sie strahlend orangefarbene, lodernde Gerippe hinterließen; andere Gebäude spuckten die Flammen aus den explodierten Fenstern aus. Ryan war sich nicht sicher – ja, er versuchte sich einzureden, dass es nur eine optische Täuschung war -, doch hinter einigen Fenstern glaubte er, Menschen in Panik hin und her rennen zu sehen, eingehüllt in Flammen.
»Es muss ein Erdbeben oder so etwas gegeben haben«, mutmaßte Ryan, »oder eine Gasleitung ist geplatzt.« Was natürlich Unsinn war, da Dannelleton gänzlich auf Strom umgestellt hatte und über keine Gasversorgung mehr verfügte. »Wir haben folglich zweifelsfrei festgestellt, dass es brennt. Also, wo zum Henker bleibt die Feuerwehr?« Die nächste alarmierende Beobachtung. Zwar wurde die Main Street von Flammen verschlungen, doch er hörte keine Sirenen, kein Anzeichen für ein Reagieren der Notdienste. Das Einzige, was man nach wie vor klar und deutlich hörte, waren die Schreie, manche dumpf, manche hoch, manche gepeinigt und kaum noch menschlich. Ryan konnte den Gedanken an Menschen, die bei lebendigem Leib verbrannten, nicht abschütteln.
»Da!« Der alte Mann hob wieder einen zitternden Finger. »Das gibt’s doch nicht!«
Blinzelnd erkannte Ryan die stinkenden Überreste des Feuerwehrhauses. Flammen umzüngelten das Schild an der Fassade – FEUERWACHE DANELLETON -, und die Tafelglasfenster beim Eingang waren zersprungen. Aus den geborstenen Rahmen züngelten weitere Feuergarben hervor. Als das Eingangstor aufbrach, taumelte ein Mann heraus, laut heulend. Er schien etwas Unförmiges auf dem Rücken zu haben, etwas, das sich bewegte, doch wie konnte das sein? Sicher war es nur ein Sauerstoffgerät oder seine Ersthelferausrüstung in einem Rucksack. Der Mann stieß weiterhin ein unmenschliches Jaulen aus und verschwand im Rauch. Ryan konnte trotzdem nicht aufhören sich zu fragen: Was war das … das Ding da auf seinem Rücken?
Die drei offen stehenden Garagen der Wache spieen ebenfalls Feuer. Unschwer konnte man erkennen, dass die drei stolzen Feuerwehrautos der Stadt lichterloh brannten. Das gesamte Gebäude stand in Flammen, und diese nicht zu übersehende Tatsache ließ Ryan keine Ruhe, trotz seiner momentanen Verwirrung.
Das Gebäude war aus Ziegelsteinen erbaut. Ziegel brannten nicht, zumindest sollten sie das nach Ryans Verständnis nicht.
Das ist doch der pure Wahnsinn , grübelte er. Was soll ich jetzt machen? Was konnte er überhaupt tun? Er und Cooper waren lediglich zwei Streifenpolizisten, sie hatten keinen Funkkontakt, keine Feuerlöschgeräte und, wie man sah, keine Feuerwehr. Unterdessen verbrannte die ganze malerische Innenstadt von Dannelleton zu Asche.
Die Schreie ertönten weiterhin, doch langsam wurden sie leiser und weniger vielstimmig.
Ryan wandte sich an den alten Mann: »Hey, Opa, haben Sie vielleicht …«
Der alte Mann lag gekrümmt zu Ryans Füßen.
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