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Inferno - Höllensturz

Inferno - Höllensturz

Titel: Inferno - Höllensturz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edward Lee
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Ideen, und er glaubte, dass Menschen sich bemühen sollten, gut zu sein. Er glaubte auch, dass er sich während seines achtzehnjährigen Lebens bemüht hatte, gut zu sein. Aber damit erschöpfte sich auch schon sein Glaube. Er glaubte weder an Gott noch an den Teufel. Er glaubte nicht, dass es einen Himmel oder eine Hölle gab, und für ihn war das Konzept der Sünde eine Abstraktion, die in kultureller Mythologie begründet lag. Das war keine Wissenschaft, und daher war es nicht real.
    Er wusste allerdings, dass Selbstmord auf der ganzen Welt als Sünde betrachtet wurde, als schwerwiegende Sünde sogar, und aus irgendeinem Grund – vielleicht ein unbewusster Selbsterhaltungstrieb, was wiederum biologisch und nicht spirituell motiviert war – kam er ins Grübeln. Einfach nur mal so.
    Was wenn ich Unrecht habe? Was wenn ich mich umbringe und in die Hölle komme?
    Sein Blick wanderte wieder zu dem Bild von Candice und ihm wurde klar: Da bin ich schon .
    Walter stand auf. Er nahm sein letztes Eisenpräparat und seine Vitamine. Er konnte genauso gut seine komplette empfohlene Tagesdosis nehmen, oder etwa nicht? Dann ging er zum Radio und wollte Musik anmachen. Das Ende seines frustrierten, unerfüllten Fehlschlags von einem Leben sollte wenigstens ein Hintergrundgeräusch haben. Der Klügste auf dem gesamten Campus zu sein, bedeutete überhaupt nichts. Welchen Nutzen hatte sein ganzes Wissen, wenn er nur ausgenutzt wurde?
    Das Radio rauschte. Walter ließ den Regler in Ruhe, es war doch wohl völlig egal, was lief … zumindest dachte er das. Ein dumpfer Beat und eine quäkende Stimme. Was war das?
    Der Sänger sang immer und immer wieder: »This is what you want, this is what you get.« Immer und immer wieder.
    Er musste aus Versehen den Alternative-Studentensender eingestellt haben. Walter runzelte die Stirn und setzte sich wieder aufs Bett. Minuten vor seinem Tod konnte er sich nicht einmal aufraffen, zum Radio zu gehen und den Sender zu wechseln. Es war viel leichter, einfach zu nörgeln.
    »This is what you want, this is what you get«, trällerte der Sänger weiter.
    Was IST das?, dachte Walter. Hörten die Leute keine gute Musik mehr? Walter stand normalerweise auf ABBA, Air Supply und Neil Diamond – die wahren Klassiker der Popmusik. Sein absolutes Lieblingsalbum war der Soundtrack zu Miami Vice . Doch während die disharmonische Stimme und der Beat weiterdudelten, fiel es ihm wieder ein: »This is what you want, this is what you get.«
    Hatte das nicht auch auf dem T-Shirt dieses Mannes gestanden? Der Typ, der gestern vom Auto überfahren wurde? Der Tote mit dem gebrochenen Genick, der zu ihm gesagt hatte: »Nimm dein Schicksal an«?
    Walter äußerte etwas für ihn ungewöhnlich Profanes: »Das ist ja total abgefuckt.«
    Ich will mich umbringen, aber Halluzinationen und ein Toter wollen mich davon abhalten …
    Ja, das war wirklich abgefuckt.
    Er stand auf und ging in die Ecke. Nahm das Gewehr in die Hand. Es war eine schöne Waffe – falls Waffen überhaupt schön sein konnten -, mit ihrer schwarzen anodisierten Oberfläche und dem glänzenden Schaft. Doch Walter kannte sich zwar mit Plasmaphysik und mathematischen Theorien aus, nicht aber mit Gewehren. Wenigstens war es in Florida einfach, eine Waffe zu besorgen; so einfach, wie einen Schokoriegel zu kaufen. Er war mit dem Taxi nach Tampa gefahren, weil es dort laut Telefonbuch die meisten Waffenläden gab. Und der große, gut aussehende, bärtige Mann im Geschäft war nicht nur gerne bereit gewesen, Walter ein praktisches Gewehr zu verkaufen, sondern er hatte ihm überdies auch alles erklärt, was er wissen musste. Er hatte ihm gezeigt, wie man die Waffe lud, wie man entsicherte. Was für ein netter Mann. Doch dann hatte er eine sachliche Frage gestellt: »Was für eine Munition brauchen Sie denn?«
    Walter hatte einmal in einem Roman etwas von »Flintenlaufgeschossen« gelesen; im Wesentlichen einfach eine einzelne, große Stahlkugel innerhalb der Patrone. Das schien eine vernünftige Wahl.
    »Flintenlaufgeschosse!«, entgegnete Walter fröhlich.
    Der Verkäufer zog fragend eine Augenbraue hoch, dann kicherte er. »Was auch immer Sie anmacht. Aber die kann man eigentlich nur für zwei Dinge brauchen: Um Bären zu schießen oder um Selbstmord zu begehen.«
    »Bitte eine Schachtel davon!«, verlangte Walter aufgeräumt.
    Der Verkäufer wog die Waffe prüfend in der Hand. »Sir, sagen wir mal, irgendein Arschloch bricht bei Ihnen zu Hause ein, und Sie

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