Palast der blauen Delphine
Prolog
Der schwarze Vulkan hatte lange geschlafen.
Sein Kegel ragt auf über dem Braun der herbstlichen Felder, über dem Silbergrün der Olivenhaine. Kaum ein Lufthauch regt sich, alles ist in gleißendes Licht getaucht. Die ganze Insel ist verstummt, selbst Grillen und Zikaden schweigen. Zuweilen nur, wenn sich eine leise Brise von der Küste her erhebt, hört man das Rauschen der Baumwipfel.
Die Menschen ruhen im kühlen Schutz ihrer Häuser. Verklungen ist in den Innenhöfen das Klappern des Geschirrs, das Lachen der Kinder. In die mittägliche Stille dringt das Gurren der Turteltauben, die vor vielen Türen in geflochtenen Weidenkäfigen schaukeln, und das Knarren zweier hölzerner Wagen, drüben, auf dem sandsteingepflasterten Platz.
Da erwacht in kupferner Tiefe die Göttin des Feuers und läßt die Flanken des Vulkans erzittern. Heulende Pfeiftöne durchschneiden die Stille, seltsame Geräusche wie von grobreißendem Stoff.
Dann wieder Stille. Wenig später erschüttert dumpfes, bedrohliches Grollen die Luft.
Abermals schweigt das Land.
Die Tiere wittern als erste die Gefahr. Schlangen und Echsen verlassen die Ritzen und Spalten der alten Lava, fallen in die Felder ein und nähern sich den Siedlungen. Sperlinge und Eichelhäher fliegen in alle Himmelsrichtungen auf. In langem, grünsilbrigem Zug kriechen Heuschrecken zum Strand hinab. Fischschwärme drängen schutzsuchend dem Meeresgrund zu. Auf den Weiden mischt sich angstvolles Blöken mit dem Gebell der Hunde.
Und wieder ist das unterirdische Grollen zu hören, ein Brausen, gefolgt von unheilvollem Klirren, als zerbräche Glas in der Tiefe der Erde.
Die ersten Stöße.
Häuser erzittern, und in den gemauerten Wänden klaffen daumengroße Risse wie häßliche Wunden. Vasen und Figuren fallen hinab, zerschellen auf den berstenden Steinplatten. Türen springen auf. In vielen Ställen beißen sich quietschend die Schweine ineinander fest.
Der Berg! Der Feuerberg!
Durch donnerndes Getöse aus dem Schlaf gerissen, fliehen die Menschen ins Freie. Dunkler Rauch entströmt dem Krater, formt sich zu einer hohen Säule. Drohend steht sie über dem Schlund.
Als sie sich langsam neigt, brüllt der steinerne Riese lang und zornig auf. Er speit eine lodernde Flamme, deren Spitze sich spaltet und den Himmel blutrot färbt. Asche steigt auf und überzieht das Firmament wie schwarzer poröser Schaum.
Im Schein der Feuerfontänen, die Garben glühenden Gesteins in die Höhe reißen, bäumt sich die Erde stöhnend auf, kurz und kräftig, schnell hintereinander.
Häuser stürzen krachend zusammen. Der Boden spaltet sich, und auf die aufgebrochenen Schollen fällt dunkler Ascheregen, der sich mit dem bräunlichen Dampf aus dem Krater vermischt.
In der plötzlich hereingebrochenen Finsternis, von Ölfunzeln und Fackeln gespenstisch erhellt, schreien Kinder. Man hört verzweifelte Gebete und lautes Klagen. In den Gassen herrscht entsetzliches Gedränge. Inmitten von brennendem Dachgebälk, zwischen scheuenden Pferden und Hunden, Hunderte von Menschen in wilder Flucht. Die Köpfe nur notdürftig mit Tüchern und Kissen geschützt. Blind vom beißenden Rauch, vom Ätzbrand, der Leib und Gesicht zersetzt und die Augen blendet. Alte und Junge schieben sich schreiend und heulend vorwärts und versuchen, ihre Habseligkeiten zu retten.
Die Straßen sind voll von verlorenen Bronzekandelabern, von Kassetten aus geschmolzenem Metall, von Tonscherben. Wer stürzt, wer über Leichen und Tierkadaver stolpert, wird zu Tode getrampelt oder erstickt qualvoll in Rauch und Asche. Nur die Kräftigeren behaupten ihren Weg, die Jungen und Starken, die die Hände abschütteln und die Kinder beiseite drücken, die Frauen ihnen entgegenstrecken. Weiter, blindlings weiter drängt die Menschenmenge, bergab, dem Hafen zu, wo die Schiffe schon zu lodernden Fackeln geworden sind.
Es gibt kein Entrinnen. Während der Wind sengende Asche über die Stadt trägt, sich Schwefelschwaden mit giftigen Dämpfen mischen und im Gesteinshagel die Vögel tot zu Boden fallen, wälzt sich unaufhaltsam eine Schlammflut auf die Stadt zu. Vor den Mauern spaltet sich der Strom. Vielarmig dringt er in Gassen und Straßen vor, steigt hoch und immer höher. Verstärkt durch nachdrückende Fluten, wälzt er sich träge über Dächer und Tempel, erfaßt die Menschen und begräbt wie ein Leichentuch alles Leben unter schmutzigschwarzem, gurgelndem Brei.
Aus dem aufgerissenen Krater ergießt sich eine Lavalawine
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