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Inferno - Höllensturz

Inferno - Höllensturz

Titel: Inferno - Höllensturz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edward Lee
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durch das ledrige, verhärtete Gewebe bissen, erfüllte der Glaskörper ihren Mundraum wie warme Sülze. Da die Außenhaut so hart war, beschloss sie zuerst das Innere herauszusaugen und dann die restliche Sklera im Ganzen herunterzuschlucken. Das tat sie dann auch mit eindrucksvoller Entschlossenheit. Schlimmer als all das war allerdings der Sehnerv, der sich in ihrem Hals anfühlte wie ein verschluckter Wurm.
    Dann brach sie vor Übelkeit zusammen.
    »Braves Mädchen!«, jubelte Angelese. »Tapfere Kriegerin.«
    Cassie kroch auf den Ausstieg des Nektoports zu. »Ich glaube, ich muss …«
    »Nicht spucken! Sonst müssen wir uns ein anderes Auge suchen!«
    Kommt nicht in Frage. Grundsätzlich nie mehr als ein Dämonenauge pro Tag. Allein die Vorstellung, diese Tortur wiederholen zu müssen, war Motivation genug, sich nicht zu übergeben.
    »Setz dich einfach nur hin und schließ die Augen«, empfahl der Engel. »In einer Minute geht es los.«
    Es ging nicht in einer Minute los, sondern in einer Sekunde. Plötzlich fing die Dunkelheit hinter Cassies geschlossenen Augen an, in Blaugrau zu leuchten, und dann sah sie Visionen, wie durch eine Handkamera, die an einem Filmset durch merkwürdige leere Flure schwankt. Die ungeheure Leere erstaunte sie am meisten – vielleicht eine Reflektion des Herzens des Besitzers. Sie schrie beinahe auf, als eine Gestalt vorbeischwebte wie eine Schachfigur, die von unsichtbarer Hand gezogen wurde. Unter der weißen Kapuze der Gestalt war nur Haut, kein Gesicht.
    »Was?«, tönte Angeleses Stimme zu ihr herüber. »Was siehst du?«
    »Leere Flure. Ein … Wesen in einem weißen Umhang schwebt vorbei. Es hat kein Gesicht.«
    »Das ist ein Levitator. Das bedeutet, dass du im richtigen Stockwerk bist, im Penthouse. Sieh dich nach einem großen roten Raum mit hoher Decke um. Die Scharlachhalle.«
    Weitere Levitatoren glitten vorbei, außerdem ein Dämonenfürst und mehrere Rekruten in Rüstungen. Vielleicht wurde Cassie von ihren eigenen Gedanken geführt, denn nur einen Augenblick später trug die Vision sie in einen Raum wie den eben von Angelese beschriebenen. Hohe rote Wände umstanden einen Fußboden aus Achatfliesen. Der große Raum funkelte, und in der Nähe einer offenen Veranda entdeckte sie einen Thron aus dunklem Kristall. Der Thron war leer.
    Cassie war ein unsichtbares Auge in der Luft, sie konnte alles sehen; ihr eigener Wille gestattete es ihr irgendwie, sich nach Belieben hin und her zu wenden. Sie bemerkte zwei weitere Gestalten in der Mitte des Raumes. Der größere der beiden stand mit dem Rücken zu ihrem Blickwinkel. Der andere, viel kleinere, trug einen seltsamen, sich windenden Umhang. Er hatte seine Kapuze nicht aufgesetzt, und Cassie konnte seine Gesichtszüge erkennen: Die Haut war so schwarz wie Anthrazit, die Ohren spitz, die Hörner gebogen und die Augen eingesunken. Zuerst dachte sie, er sei kahlköpfig, doch dann bemerkte sie, dass er skalpiert worden war. Er ging um die andere Gestalt herum, als unterziehe er sie einer Prüfung.
    »Ich sehe zwei Männer. Einer hat schwarze Haut, kohlschwarz.«
    »Was trägt er?«
    »Einen Umhang, der …« Cassie blinzelte durch den Blick des Sehers. Ihr Magen drehte sich um, als sie erkannte, woraus der Mantel wirklich gemacht war. Jetzt verstand sie die zuckenden Windungen des Kleidungsstückes.
    »Cassie, besteht der Umhang des Kerls aus neugeborenen Schlangen?«
    »Ja.« Sie würgte beinahe.
    »Das ist ein Hounganit, ein hochrangiger Voodootechniker. Dann stimmt es also. Luzifer hat wirklich die Hexologie-Institute und die Abteilung für Re-Animation in den Mephisto-Turm verlegt. Aber du hast etwas von zwei Männern gesagt. Beschreib den zweiten. Ist er ein Dämon?«
    »Nein, ein Mensch.« Von hier aus konnte sie das sehen. Der Mann stand mit dem Rücken zu ihr. Groß, schlank, nackt, mit dunklem Teint. Cassie steuerte die mystische Vision um ihn herum, um ihn von vorne zu betrachten.
    Sein langes dunkles Haar und sein Bart rahmten ein Gesicht ein, das eine unglaublich beruhigende Ausstrahlung hatte.
    Cassie riss sich aus der visionären Trance und erschauerte.
    »Und? Kannst du den zweiten Mann beschreiben?«, fragte der Engel und beugte sich vor.
    Cassie saß einfach nur bebend da, als sei es um sie herum plötzlich eiskalt. Endlich sah sie zu Angelese auf und sagte: »Es war Jesus. Es war Jesus Christus …«

KAPITEL FÜNFZEHN

I
    Das Licht war unmöglich zu beschreiben. Dunkelheit, die trotzdem leuchtete? Wenn die

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