Inferno - Höllensturz
größten Seufzer der Erleichterung seines ganzen Lebens aus. »Ich danke dir.«
»Also. Du bist ein Physiker und ein Mathematiker. Zieh deine Schlüsse.«
Walter verstand sofort. »So oder so bin ich am Arsch.«
»Es ist zwar ein Paradoxon, aber ja, so oder so bist du am Arsch. Manche Menschen sind Opfer der Umstände. Wie du. Und wie ich. So ist das nun mal. Es ist unfair, aber niemand hat je behauptet, das Leben müsste fair sein. Wir sind beide am Arsch, Walter. Ich bin es. Du bist es. Du weißt, was du tun kannst, oder?«
»Was?«
»Für einen stilvollen Abgang sorgen.«
Einen stilvollen Abgang? Walter wiederholte die Worte im Geiste.
»Denk darüber nach, Walter«, bat Namenlos. »Aber tu es schnell. Uns bleibt nicht mehr viel Zeit …«
II
Angelese schien völlig fassungslos zu sein, während der Nektoport sich hoch in die Luft erhob und zwischen den hässlichen Wolken Deckung suchte. Cassie saß einfach nur da, selbst völlig betäubt von dem, was sie gesehen hatte. Der Gedanke drehte sich unablässig in ihrem Kopf: Es war Christus, es war Jesus Christus...
Angeleses Stimme war nur mehr ein niedergeschlagenes Flüstern. »Jetzt ergibt alles einen Sinn; alles wird sonnenklar.«
Cassie war zu mitgenommen, um die Bedeutung des Ganzen zu verstehen. »Was ist denn jetzt Luzifers Plan?«
»Sie haben das echte Grabtuch von Turin aus der Welt der Lebenden gestohlen, Cassie. Damit haben sie diesen Hex-Klon von Christus hergestellt, den du in der Scharlachhalle gesehen hast. Sie werden ihn per Astraler Retrogation in der Zeit zurückreisen lassen. Und dann wird Luzifer den echten Christus durch dieses Wesen ersetzen.«
»Das ist doch unmöglich. Es würde niemals funktionieren.« Cassie war sich ganz sicher.
»Dieser Hex-Klon ist eine perfekte Kopie, Cassie. Er sieht exakt so aus wie der echte Heiland. Aber worin besteht der Unterschied?«
»Er ist nicht Christus. Es ist nur animiertes Fleisch, eine aufwändig hergestellte Attrappe. Er sieht aus wie der echte Jesus, er klingt so, er benimmt sich so, aber niemand wird es glauben.«
Der Nektoport nahm nun eine ruhige Position in den Wolken ein. Als Cassie nach unten blickte, sah sie, dass sie etwa zwei Kilometer über dem Mephisto-Turm schwebten.
»Nein«, wiederholte sie. »Niemand würde das glauben. Es würde nicht funktionieren. Das ist kein Mensch, und es ist nicht der Sohn Gottes. Es ist ein Fleischsack, der nur durch Zauber und Hexenkunst leben kann.«
Aus den Augen des Engels funkelte Entsetzen. »Du vergisst etwas, Cassie. Du vergisst den Teil von Luzifers Plan, der dich betrifft.«
Die Bemerkung erstaunte sie. »Mich?«
»Das ist der einzige Grund, warum der Morgenstern dich braucht – jemanden mit ätherischen Kräften. Der Grund, aus dem er versucht hat, dich während der Verschmelzung in der Klinik zu kidnappen. Derselbe Grund, aus dem er versucht, den Sohn des Äthers zu fangen. Er braucht eine Tochter oder einen Sohn des Äthers, aber einer von beiden reicht. Und nach allem, was wir wissen, könnte er den Sohn des Äthers längst erwischt haben und ihn vorbereiten.«
»Und worauf würde Luzifer ihn vorbereiten?«
Das Innere des Nektoports wurde plötzlich so kalt wie ein Mausoleum. »O nein«, seufzte Angelese und sah sich um. Der Port erstreckte sich in die Dunkelheit, wie ein Tunnel. Selbst Cassie konnte es nun spüren.
Sie waren nicht allein.
Ein plötzlicher Lichtschein, so hell wie ein Blitz, blendete Cassie. Dann ertönte ein Geräusch, ein Klappern. Sie spürte eine Bewegung hinter sich. »Angelese!«, rief Cassie. »Was ist hier los?« Doch die Antwort des Engels war nur ein Schrei. Große, schuppige Hände griffen nach Cassie und dann wurde etwas über sie gezogen. Als sie wieder sehen konnte, wusste sie, was es war: ein Netz.
Ein von Kopf bis Fuß mit Muskeln bepackter gehörnter Scherge hielt Cassie in dem Netz fest wie ein gut verschnürtes Paket. Sie konnte sich nicht rühren. Fauliger Atem schlug ihr ins Gesicht, als der schneckenhäutige Diener Luzifers ihr sanft mit einer Klaue über die Wange strich. Die Augen zwischen den strichschmalen Lidschlitzen schimmerten, das grinsende Maul sah aus wie ein Loch voll zerbrochenem Glas.
Eine Stimme erklang, so volltönend wie die eines hoffnungsfrohen Priesters in einer Kathedrale: »Cassie. Es ist mir eine Ehre, dir endlich so nah zu sein – einer wahren Tochter des Äthers. In Fleisch und Blut. Und was für ein Fleisch, o la la .«
Cassie sah ihrem Gegenüber direkt ins
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