Inferno
Festlands starrte.
Ein Jahr zuvor hatte er an Bord ebendieser Yacht eine Entscheidung getroffen, deren Folgen nun alles bedrohten, was er je geschaffen hatte. Ich habe dem falschen Mann meine Dienste versprochen. Damals hatte der Provost nicht wissen können, worauf er sich einließ. Doch die Fehleinschätzung hatte einen Sturm unvorhersehbarer Herausforderungen ausgelöst und ihn gezwungen, einige seiner besten Agenten auszusenden mit dem Befehl, »alles nur Erdenkliche« zu tun, um sein schlingerndes Schiff am Kentern zu hindern.
Gegenwärtig wartete der Provost auf die Meldung eines ganz bestimmten Agenten.
Vayentha , dachte er, als er sich die athletische, stachelhaarige Spezialistin vorstellte. Vayentha, die ihm bis zu dieser Mission ohne Fehl und Tadel gedient hatte. Ihr war in der letzten Nacht ein verhängnisvoller Fehler unterlaufen, der unabsehbare Konsequenzen nach sich zog. Die vergangenen sechs Stunden waren ein einziges hektisches Agieren gewesen, der verzweifelte Versuch, die Situation wieder unter Kontrolle zu bringen.
Vayentha hatte behauptet, ihr Fehler sei einfach Pech gewesen – das Gurren einer Taube zur falschen Zeit .
Der Provost glaubte nicht an Pech. Alles, was er unternahm, war so orchestriert, dass Zufall und Willkür keine Chance hatten. Kontrolle war das absolute Fachgebiet des Provosts – für ihn galt nur, jede Möglichkeit und jede Reaktion vorherzusehen und die Realität zum gewünschten Ergebnis zu lenken. Er hatte eine makellose Erfolgsbilanz und führte seine Unternehmungen mit äußerster Diskretion durch. Mit der Zeit hatte ihm dies eine atemberaubende Klientel beschert – Milliardäre, Politiker, Scheichs, sogar ganze Regierungen.
Im Osten zeigte sich das erste schwache Licht des Tages und löschte die Sterne über dem Horizont. Reglos und geduldig stand der Provost an Deck und wartete auf die Nachricht, dass Vayentha ihre Mission wie geplant abgeschlossen hatte.
KAPITEL 4
Für einen Moment hatte Langdon das Gefühl, die Zeit wäre stehen geblieben.
Dr. Marconi lag reglos auf dem Boden, und aus seiner Brust strömte Blut. Langdon kämpfte gegen die Beruhigungsmittel in seinem Kreislauf an und blickte zu der stachelhaarigen Attentäterin, die sich nach wie vor durch den Gang näherte, als wäre nichts geschehen. Sie war nur noch wenige Meter von der offenen Zimmertür entfernt. Als sie Langdon sah, hob sie erneut die Waffe … und zielte auf seinen Kopf.
Ich werde sterben! , dachte Langdon. Hier und jetzt, auf der Stelle.
Der Knall war ohrenbetäubend in dem kleinen Krankenzimmer der Intensivstation.
Langdon zuckte zusammen in dem Glauben, getroffen worden zu sein, doch der Knall war nicht aus der Pistole der Angreiferin gekommen. Dr. Brooks hatte geistesgegenwärtig die schwere Metalltür des Zimmers ins Schloss geworfen und den Schlüssel umgedreht.
Mit angstvoll geweiteten Augen fuhr die junge Ärztin herum, kauerte sich neben ihren blutüberströmten Kollegen und fühlte ihm den Puls. Dr. Marconi hustete Blut, das ihm schaumig über die Lippen troff und in den dichten Bart lief. Dann erschlaffte er.
»Enrico! No! Ti prego!« , rief sie.
Draußen prasselte ein Kugelhagel gegen das Metall der Tür. Das Schrillen des Alarms hallte durch den Gang.
Irgendwie überwanden Panik und Instinkt die Beruhigungsmittel, und dann war Langdon in Bewegung. Er kletterte unbeholfen aus dem Bett, und ein sengend heißer Schmerz durchfuhr seinen rechten Unterarm. Im ersten Moment meinte er, eine Kugel hätte die Tür durchschlagen und ihn getroffen, doch als er an sich hinuntersah, stellte er fest, dass er sich den Infusionsschlauch herausgerissen hatte. In seinem Unterarm steckte noch der Katheter, aus dem warmes dunkelrotes Blut strömte.
Mit einem Schlag war Langdon hellwach.
Dr. Brooks kniete neben Marconis reglosem Körper. Sie fühlte ihm noch immer den Puls. Tränen stiegen ihr in die Augen. Plötzlich, als hätte jemand einen Schalter in ihr umgelegt, sprang sie auf und wandte sich Langdon zu. Ihre Miene zeigte die kühle Gefasstheit eines erfahrenen Notarztes mitten in einer Krise.
»Folgen Sie mir!«, befahl sie.
Sie packte Langdon am Arm und zerrte ihn durch das Zimmer. Das Prasseln von schallgedämpften Schüssen und der Lärm vom Chaos draußen auf dem Gang hielten an, während Langdon auf unsicheren Beinen voranstolperte. Sein Verstand war wach, doch sein Körper stand noch unter dem Einfluss starker Medikamente und reagierte nur widerwillig. Bewegung!
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