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Inkubus

Inkubus

Titel: Inkubus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Luca Di Fulvio
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des Stahlwerks, das seit Jahren geschlossen war und doch niemals abgerissen wurde, als wollte sich die ganze Stadt auf diese Weise gegen eine Art Kastrationsakt wehren. Das unbewegliche Wasser des Hafens wirkte wie ein salziger See, ölig und schwer schwappte es gegen die von grünen Algenteppichen überzogenen Mauern und überschwemmte sie mit Dreck und Kohlenwasserstoff.
    Der Mann beschleunigte seine Schritte. Als er sein Ziel erreicht hatte, griff seine Hand instinktiv nach der Pistole, die er im Gürtel seiner Hose trug und die gegen seinen Rücken drückte, dann klingelte er. Das grüne Licht der Überwachungskamera schaltete sich ein, dann surrte der Türdrücker.
    »Guten Abend, Ispettore Palermo«, sagte der diensthabende Polizist.
    Der Mann hob kurz die Hand zum Gruß, bevor er schwerfällig die erste Treppe zum Zwischengeschoss hinaufstieg. Er stieß die Glastür auf und verschwand in einem Raum, auf dessen Tür in alten, verkratzten Buchstaben stand: Sittendezernat – IV. Bezirk .
    Eines war ihm an dem Jungen gleich aufgefallen: dieses innere Leuchten. Ein ganz besonderes, einzigartiges Licht. Strahlend und gedämpft zugleich. Das Licht der Dunkelheit. Der Junge hielt sich immer abseits, als wollte er nichts mit seinen Altersgenossen zu tun haben, als wäre er erwachsener als sie. Oder einfach zu verschieden von ihnen. Als täuschte der äußere Eindruck und er verstecke sich hinter diesem zerbrechlichen, anmutigen Körper, der männlich und weiblich zugleich wirkte. Als wären seine rosigen, üppigen Lippen zarte Blütenblätter, die man nur ansehen und nicht berühren durfte, und seine langen schmalen Finger Stängel, aus denen duftende Blumen erblühen sollten. Doch der Junge richtete seine Samtaugen niemals auf jemanden oder etwas in seiner Umgebung und wirkte wie eine dem Künstler misslungene Statue, die überall und nirgends hinschaut. Er hatte den Jungen lange beobachtet und sich, ohne zu wissen warum, von seinen ruhigen Bewegungen angezogen gefühlt, die von frühreifem Sex sprachen. Als ob sie etwas vorwegnehmen würden, das bereits geschehen war. Er hatte den Jungen beobachtet, als er nackt war, und dabei hatte sein Blick lange auf dessen gut entwickeltem, für sein Alter zu erwachsenen Penis verweilt, und er hatte gespürt, wie er errötete und ihn diese Röte bis ins Innerste durchdrang, wo er die Wahrheit, seine Wahrheit, verbarg und unterdrückte. Die er tief in sich begraben hatte, damit niemand sie je entdecken konnte. Damit niemand sie verraten konnte. Damit niemand ihn verspotten konnte.
    Er hatte diesen verletzten Engel lange beobachtet, der mit der Natur, den Pflanzen und den Tieren redete, jedoch keine Notiz von den gleichaltrigen Jungen nahm, mit denen er sich nicht identifizierte. Der ihn nie auch nur einmal angesehen hatte. Ihn, der ihn ständig ansah, diesen stummen Engel, der mit niemandem auch nur ein Wort sprach, nicht einmal mit ihm, obwohl er doch keiner seiner Altersgenossen war, sondern einer von den »Großen«, die man bald verlegen würde.
    Eines Tages hatte er sich im Hof neben ihn gesetzt, die Hände zwischen den Knien verborgen, in denen er ein Papiermesser hielt.
    »Eines Nachts, wenn alle schlafen, komme ich zu dir«, hatte er ihm gedroht, um ihm Angst einzujagen. »Und dann schlitze ich dir diese Narbe am Kopf auf.«
    Daraufhin hatte der Junge zu ihm hinübergeschaut und ihn zum ersten Mal überhaupt angesehen. Er hatte gelächelt, und seine Augen hatten sich mit Tränen gefüllt. Mit Freudentränen.
    »Kommst du auch bestimmt?«, hatte er ihn gefragt. Seine Stimme klang rau. Und er sah aus wie ein Engel. Ein Engel mit einer rauen Stimme.
    Er hatte sich in seinen Augen gespiegelt und dort verzerrt von der tränenfeuchten Hornhaut seine eigene Lebensgeschichte gesehen. Hatte gesehen, was er tun, wer er sein würde, wen er kennen lernen würde, wen er nie lieben und wen er bis in alle Ewigkeit lieben würde, über diesen Hass hinaus. Und er hatte gespürt, was er versuchen würde. Und wie es enden würde. Er hatte begriffen, dass ein Mann seine Wahrheit eines Tages mit Gewalt aus ihrem Heiligtum vertreiben würde. Ein verkleideter Mann, der eine Uniform trug. Ein Mann, der eigentlich schon tot war.
    In der gleichen Nacht war er an das Bett des Jungen getreten.
    »Komm«, hatte er zu ihm gesagt und dabei das Messer umklammert.
    Und der Junge war ihm wortlos mit einem Lächeln auf den Lippen zu den Toiletten gefolgt. Sie hatten sich auf die kalten, weißen,

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