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Inkubus

Inkubus

Titel: Inkubus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Luca Di Fulvio
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neun Flugzeuge. Würde neun Prinzessinnen heiraten. Und neun Drachen besiegen.
    »Ich bin neun Jahre alt«, sagte der Junge laut und streckte hinter dem Rücken des fetten Mannes nacheinander neun Finger hoch. Dann legte er sich wieder der Länge nach auf den Rücksitz des Wagens.
    Wenn er Angst hatte, wiederholte er dieses Spiel ohne Unterlass, zählte immer wieder bis neun, so lange, bis die lange Folge niedriger Zahlen als Summe eine einzige große Zahl bildeten und er sich dadurch selbst überzeugte, dass er jetzt genauso erwachsen war wie die, vor denen er sich immer gefürchtet hatte. Dann erschien ihm die Angst nicht mehr so beängstigend, und all diese schlimmen Erwachsenendinge verloren an Größe und Schrecken.
    Doch jetzt hatte er Angst.
    Er spürte genau, wie all dieses an ihm klebende Blut auf ihm erkaltete und langsam zu einer harten Schicht erstarrte, wie eine Schlammkruste, die jedes Mal Risse bekam, wenn er weinte und dabei die Augen zusammenkniff. Wie ein eiskaltes, zu enges Kleid.
    Jetzt hatte er Angst. Aber er empfand auch Wut.
    Der Junge setzte sich auf, betrachtete erst forschend seine Hände, seinen Körper und schließlich sein Gesicht im Rückspiegel.
    Auf seinem Körper war kein Blut zu sehen. Nicht der kleinste Fleck. Er wusste, dass kein Blut auf seinem Körper war. Doch trotzdem spürte er all dieses Blut, das auf seinem Körper erkaltete. Dieses weiße Blut. Dieses rote Blut. Beide so klebrig und warm. Das Blut der Erwachsenen ergoss sich auf seinen Körper, den Körper eines neunjährigen Jungen. Das rote Blut, das zu jenem weißen Blut verblasste. Das weiße, das sich rot färbte.
    Obwohl der Junge jetzt Angst und Wut empfand, freute er sich dennoch richtig auf dieses neue Spiel.
    Er stieg wieder aus dem Wagen und blickte zu den Sternen hoch, die sich hinter dem milchigen Schleier des Himmels verbargen. Er wusste einfach, dass sie dort waren. Einige, nein viele von ihnen waren trügerisch. Alle. Alle bis auf einen. Nur der Stern des Lichts war wahrhaftig. Der Stern mit den neun Zacken. Der rote Stern, der das Blut aufspritzen ließ. Der Stern mit den neun Händen, die ihm das Blut vom Körper wischten. Der Stern der neun Zärtlichkeiten, der neun und neun und abermals neun Zärtlichkeiten. Der die neun Fesseln zerrissen hatte. Diese neun sanften Stimmen, die mit dem Stern neunmal liebevoll seinen Namen gerufen hatten. Diese neun Träume, die die neun Albträume besiegt hatten. Diese neun Blüten, die aus seinen neun Jahren erblüht waren. Die neun Adern, die seine kindlichen Sünden ausbluteten, die ihm neunmal seine Besudelung abwuschen. Die neun strahlenden Blitze, die die Angst vertrieben, die Dämonen besiegten und die schändlichen Laster der Erwachsenen auslöschten. Diese blitzenden Lichter, die ihre großen, zuckenden Körper erschlaffen, sie wie Lanzen strecken ließen.
    Wie gebannt ging der Blick des Jungen hinunter zu jenem Ort, als könne er nicht anders, als müsste er das anstarren, wovor er am meisten Angst hatte, ja als empfände diese Angst ein merkwürdiges, geradezu perverses, erwachsenes Vergnügen darin, sich selbst heraufzubeschwören, ein Erschauern, ein Schwindel, ein tränenersticktes Lachen, eine Erregung, die ihn atemlos zurückließ – da fiel sein Blick auf die Uhr. Lächelnd machte er sich auf den Weg die unbefestigte Straße hinunter, die nur aus spitzen Steinen zu bestehen schien, ohne den fetten Mann eines Wortes zu würdigen, der immer noch auf der Kühlerhaube kniete und ihm jetzt hinterherstarrte. Er konnte diesen Blick deutlich auf seinen kindlichen Schultern spüren. Der Junge ging genau fünfzig Schritte abwärts in die Dunkelheit hinein, bevor er über die ordentlich aufgestapelte Mauer aus Bordsteinen stieg und in den schwachen Lichtkreis der einzigen Straßenlaterne trat. Ein gelblicher, runder See, gespeist aus Strahlen, die wie welkes Laub auf den rauen, holprigen Asphalt dieser Vorstadtgegend mit ihren Rohbauten fielen.
    Langsam ging er auf den hohen Pfahl aus grauem Gusseisen zu, der am unteren Teil schon Rost angesetzt hatte, und kletterte flink hinauf. Ganz oben an seiner Spitze leuchtete die Uhr. Als er die richtige Höhe erreicht hatte, klammerte er sich mit den Beinen am Pfosten fest und holte sein Taschenmesser heraus. Damit brach er das Metallgehäuse an der Vorderscheibe auf, die das Zifferblatt schützte, klappte sie auf und stellte die Zeiger auf neun Uhr. Dann drehte er sich zu dem fetten Mann auf dem kleinen Hügel um und

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