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Inkubus

Inkubus

Titel: Inkubus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Luca Di Fulvio
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I
    »Ist dir kalt?«, fragte der Junge lächelnd aus dem Wageninneren heraus und neigte leicht den Kopf.
    Der dicke Mann, der auf der Motorhaube kniete, wandte ihm den Rücken zu und murmelte irgendetwas Unverständliches.
    Der Junge achtete nicht darauf. Die Erwachsenen spielten immer so seltsame Spiele. Manchmal konnte man richtig Angst davor bekommen. Die Erwachsenen hatten auch so erwachsene, große Gesichter, große Augen und große Hände. Und sie rochen wie Erwachsene. Ihre Stimmen klangen erwachsen. Und ihre Worte waren die von Erwachsenen. Deshalb spielte er sonst lieber allein. In einer Welt, deren Größenverhältnisse zu ihm passten.
    »Ist dir kalt?«, fragte der Junge noch einmal höflich, beugte sich durch die zerbrochene Windschutzscheibe des Wagens hinaus und streckte seine Kinderhand vor, um die Motorhaube zu berühren. Er legte sie mit der geöffneten Handfläche nach oben neben das fette Bein des Mannes, der ihm immer noch den Rücken zuwandte und unentwegt vor sich hin jammerte. Die Karosserie oberhalb des Motors war noch lauwarm. »Sie ist noch warm«, erklärte der Junge lächelnd und konzentrierte sich wieder ganz auf die Knoten.
    Er zog an einem Ende der Schnur, wickelte sie noch einmal um die Schiene, auf der der Fahrersitz vor- und zurückgeschoben werden konnte, und als er spürte, dass sie genau richtig gespannt war, verknotete er sie. Dann wandte er sich dem anderen Ende des Seils zu. Er zog auch diese Seite straff, wickelte es diesmal um die Führungsschiene des Beifahrersitzes und machte wieder einen Knoten. Schließlich strich er mit einer Hand über die weißen Knöchel des fetten Mannes.
    »Ist es zu fest?«, fragte er.
    Der Mann grunzte ängstlich, aber er wandte sich nicht um.
    Der Junge verkroch sich ganz hinten im Wagen und kämpfte mit den Tränen. Er konnte sich einfach nicht daran gewöhnen, wie ein Erwachsener zu reden.
    »Du machst mir keine Angst!«, brüllte er den fetten Mann auf einmal wütend an.
    Dann kletterte der Junge hastig aus dem Wagen und überprüfte die Seile, die an der vorderen Stoßstange des Wagens befestigt waren. Ja, sie waren straff gespannt und hielten. Genau wie die anderen Seile und die übrigen Knoten. Dann schaute er dem fetten Mann direkt in die Augen, aber er schrie ihm nicht noch einmal entgegen, dass er keine Angst vor ihm hatte. Wenn er sich wirklich nicht fürchtete, hatte er kein Bedürfnis, sich mitzuteilen. Der Junge begnügte sich damit, ihm ganz direkt in die Augen zu schauen und den Blick nie zu senken. Dies war ein Kräftemessen zwischen den beiden – wer zuerst wegsah, hatte verloren. Es war ein Spiel. Der, der zuerst blinzelte, hatte verloren. Der fette Mann hielt das nicht lange durch. Danach zog sich der Junge wieder in den Wagen zurück und streckte sich auf dem Rücksitz aus.
    Er musste sich den Ort nicht ansehen, an dem sich der fette Mann und er aufhielten, er kannte ihn in- und auswendig und sah ihn sich bisweilen gern an. Wenn er sehr mutig war, wagte er sich bis auf den Platz hinunter, aber das kam selten vor, da ihm dieser Ort fast immer Angst einjagte. Doch jedes Mal, jedes dieser seltenen Male, wenn er es dennoch tat, kam er erregt und außer Atem zurück und hörte den Schlag seines kleinen Herzens dröhnend in seinen Ohren hämmern. Er war stark gewesen, sagte er sich. Und mutig. Doch diese Angst, die er jetzt empfand, fühlte sich anders an. Als ob Angst vielerlei Formen annehmen konnte. Schreckliche. Aber bisweilen auch schöne. Oder zumindest beinahe.
    »Eins … zwei … drei … vier … fünf … sechs … sieben … acht … und neun«, sagte er ganz leise, während er auf dem Rücksitz des Wagens lag, und zählte an seinen Fingern ab, wie alt er war. »Eins … zwei … drei … vier … fünf … sechs … sieben … acht … und neun«, zählte er immer und immer wieder, und es klang wie ein Lied, wie ein Wiegenlied. »Eins … zwei … drei … vier … fünf … sechs … sieben … acht … und neun«, als betete er einen Rosenkranz herunter. Als gäbe es nichts darüber hinaus. Als enthielten diese neun kleinen Zahlen die gesamte Welt. Wie ein Käfig mit neun Gitterstäben, neun Seiten und neun Schlössern. Wie ein Stern mit neun Zacken. Wie ein Ungeheuer mit neun Augen, neun Fangarmen und neun weit aufgerissenen Mäulern. Wie ein Zauberer mit neun Tricks. Wie neun Küsse. Er liebte dieses Spiel mit der Neun. Vielleicht würde er eines Tages neun Häuser haben, neun Freunde, neun Hunde, neun Autos und

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