Innere Werte
sitzen blieb.
Steffen Wellner befand sich nichtsahnend im OP. Während die Männer von der Spurensicherung alle relevanten Unterlagen sichteten und einpackten, besorgte sich Martin den OP-Plan von Bielmanns Todestag. Er verglich noch vor Ort die Namen der Operierten mit der Patientenkartei. Jeder von ihnen hatte eine Akte und war noch am Leben.
Gerade als die Polizei das Feld räumen wollte, kam Steffen Wellner in sein Büro geschossen.
»Was geht hier vor?«, schrie er den erstbesten Beamten an.
Martin nahm seinem Kollegen die Antwort ab und klärte den Arzt über das Vorgehen auf.
»Sie sagten«, entgegnete Wellner ärgerlich, »der Fall sei für mich erledigt. Sie haben doch die E-Mails gesehen. Was wollen Sie denn noch?«
»Wir wollen Einsicht in Ihre Geschäftsunterlagen und Patientenakten. Und, wenn möglich, möchten wir gern einen Blick auf die gelöschten Nachrichten werfen.«
»Sollte ich E-Mails gelöscht haben, werden Sie die bestimmt nicht finden«, erwiderte Wellner hasserfüllt.
»Wenn Blicke töten könnten«, sagte Martin ganz ruhig, »dann würden Sie jetzt zum Mörder werden. Und was die E-Mails angeht, Herr Wellner, ich glaube, Sie unterschätzen unsere Computerspezialisten. Wenn Sie genauso schlecht Mails entsorgen wie Sie lügen, haben wir gute Chancen etwas zu finden.« Martin ging zur Tür.
»Das ist eine Frechheit! Ich werde mich über Sie beschweren.« Wellner hatte einen Ausdruck totaler Verachtung in den Augen.
»Tun Sie, was Sie nicht lassen können.« Martin kam nochmal zurück und blieb ganz dicht vor Wellner stehen. »Aber ich weiß gar nicht, was Sie sich so aufregen. Oder haben Sie schon wieder Dummheiten bei der Abrechnung Ihrer Leistungen gemacht?«
Wellner starrte Martin sprachlos an.
»Gucken Sie nicht wie der Ochs vorm Berg. Glauben Sie, die Polizei ist blöd?« Ohne ein weiteres Wort verließ Martin das Büro und hinterließ einen ziemlich irritierten Chefarzt.
Zeitgleich waren Michael und Paul unterwegs zu Wellners Haus, um dessen Alibi zu überprüfen. Die Kollegen des Erkennungsdienstes würden in Kürze zu ihnen stoßen und auch dort Unterlagen konfiszieren.
Michael wählte den Weg durch die Paulinenstraße entlang der Parkanlage Warmer Damm, weil sich aufgrund eines Unfalls der Verkehr auf der Wilhelmstraße zurückstaute.
»Was ist das hier eigentlich für eine Hütte?«, fragte Paul, als sie an einer besonders schönen Villa vorüberfuhren.
»Die Villa Söhnlein.«
»Söhnlein wie der Sekt?«
»Exakt.«
»Na, die Wiesbadener haben’s ja mit Prickelwasser.«
»Bis auf den Namen hat das Haus heute nichts mehr mit dem Sektfabrikanten zu tun. Der hat’s zwar vor etwa hundert Jahren gebaut, aber mittlerweile ist es nicht mehr im Familienbesitz. Erinnert dich die Villa an irgendwas?«
»Sieht ein bisschen aus wie’s Weiße Haus.«
Durch den konvexen, mit Säulen versehenen Mittelvorsprung ähnelte sie tatsächlich dem großen Vorbild in Washington.
»Gut erkannt. Das war auch damals so beabsichtigt. Die Frau von dem Söhnlein stammte aus Amerika und ihretwegen hat er das Haus dem amerikanischen Regierungssitz nachgebaut. Im Volksmund wird es tatsächlich Kleines Weißes Haus genannt.«
»Und wer wohnt jetzt da?«
»Ein reicher Bauunternehmer und seine Familie. Der hat die Villa vor einigen Jahren gekauft und restauriert. Ich hab mal an einer Führung am Tag des Denkmals teilgenommen. War sehr interessant. Im Innern gibt’s wunderschöne Schnitzereien, Holzvertäfelungen, Stuckarbeiten und Stofftapeten aus England und Frankreich. Sieht wirklich chic aus.«
»Wusste gar nicht, dass du dich für so was interessierst«, staunte Paul.
»Ein bisschen Kultur schadet nie.«
Sie fuhren die Prinzessin-Elisabeth-Straße entlang, die sie in geschwungenen Kurven auf den sogenannten Millionärshügel führte.
»Passende Gegend für einen angesehenen Arzt«, kommentierte Paul.
Beeindruckende Villen, größtenteils historisch, säumten neben einer kleinen Grünanlage die Straße. Wieder einmal ein Beweis, dass Wiesbaden im Zweiten Weltkrieg deutlich weniger Schäden davongetragen hatte als die meisten anderen deutschen Städte. Nahtlos ging die Straße in die Schöne Aussicht über, eine der nobelsten Adressen der Stadt.
Michael parkte den Wagen direkt vor dem Haus der Wellners.
»Natürlich eine Villa, wie könnte es anders sein.«
»Irgendwie haben wir den falschen Beruf«, murmelte Paul.
Ohne Zweifel war das Haus ein prachtvolles Gebäude. Es
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