Innere Werte
in die Innenstadt, wo Martin eine Flasche Sekt und einen Musical-Gutschein für Karla kaufte. Wenig später kehrten sie in der Neugasse im »Quán Binh« ein. Das kleine Vietnam-Thai-China-Bistro war sehr beliebt, weil man hier gut und billig essen konnte. Sie hatten Glück, noch einen Tisch zu bekommen.
»Du siehst die ganze Zeit schon so nachdenklich aus«, sagte Michael, nachdem sie bestellt hatten. »Irgendwas lässt dir doch keine Ruhe.«
»Ja, mir geht schon länger was im Kopf herum.«
»Dann wundert’s mich, dass du noch nicht darüber gesprochen hast. Du gibst doch sonst alles zur Diskussion frei.«
Tatsächlich äußerte Martin fast jeden Gedanken, der ihm zum laufenden Fall in den Kopf kam, damit die Kollegen ihre Meinungen dazu sagen konnten. Die Erfahrung hatte gezeigt, dass man sich auf diese Art und Weise der Wahrheit oftmals Stück für Stück schneller annäherte. Doch diesmal schienen Martin seine Gedanken so abstrus, dass er sie bis jetzt zurückgehalten hatte.
»Ja, ich weiß. Diesmal ist es anders. Du wirst mich für verrückt halten, wenn ich dir sage, dass ich beim Anblick von Nierenspießen auf dem Weihnachtsmarkt an Bielmann gedacht habe. Ich hab mich tatsächlich gefragt, ob man ihn umgebracht hat, um an seine Niere zu kommen.«
»Organhandel?«
»Ja. Das würde es wohl bedeuten. Der Gedanke ist doch völlig abwegig. Im Grunde halte ich das für unmöglich. Das ist ein Szenario, das vielleicht denkbar, aber absolut nicht realistisch ist. Ich weiß, dass es das im Ausland gibt, in Indien oder in der Dritten Welt. Aber mitten in Deutschland? Das würde hier doch gar nicht funktionieren.«
»Ich halte das auch für schwierig. Kliniken werden sicher überprüft. Außerdem würde so etwas sofort auffallen, bei dem vielen Personal.« Michael zog nachdenklich die Stirn in Falten. »Aber so verrückt finde ich den Gedanken gar nicht. Irgendwie würde das in Bielmanns Fall sogar Sinn machen.«
»Aber niemand kann doch in irgendeinem Keller Organe verpflanzen, ohne dass das jemand mitbekommt. Ich gehe davon aus, dass solche Aktionen sehr komplex und schwierig sind. Andererseits weiß ich so gut wie nichts darüber, um das realistisch einschätzen zu können.«
»In den Medien ist Organhandel immer wieder ein Thema. Dieser eine Politiker hat doch heftige Diskussionen ausgelöst, als er seiner Frau vor ein paar Jahren seine Niere gespendet hat.«
»Ja, ich kann mich erinnern. Und wenn ich das jetzt mal auf Bielmann übertrage, bedeutet das doch, dass der kein freiwilliger Spender war. Sonst wär das alles ordnungsgemäß im Krankenhaus passiert.«
»Es kann ja nicht jeder einfach Spender werden. Das geht nur bei den nächsten Angehörigen. Ansonsten ist das illegal.«
Die Bedienung brachte das Essen und unterbrach damit das Gespräch. Die Männer aßen eine Weile schweigend.
»Da fällt mir dieser Science-Fiction-Thriller ›Fleisch‹ von Rainer Erler ein«, sagte Michael kauend. »Weißt du noch, mit Herbert Herrmann und einer sexy Jutta Speidel?«
»Ach Gott, das ist ja ewig her. Aber ich weiß noch, dass ich den damals total schockierend fand. Ein Alptraum«, erinnerte sich Martin an den Film, in dem ein internationales Syndikat entführten Touristen ungefragt Organe entnommen und an zahlungskräftige Patienten verkauft hatte.
»Aber einer, der in vielen Ländern wahr geworden ist. Denk doch nur an den Kosovo. Die Tage habe ich noch darüber gelesen. Da hat ein Schweizer Ex-Staatsanwalt einen Bericht vorgelegt. Darin hieß es, dass ehemalige UCK-Führer während des Kosovokrieges Organe von Gefangenen entnehmen und sie auf dem internationalen Schwarzmarkt verkaufen ließen.«
»Ich weiß, aber das ist im Ausland passiert. Und das waren regelrechte Organisationen.«
»Warum sollen die nicht auch bei uns tätig werden? Als wir damals ›Fleisch‹ gesehen haben, hätte auch kein Mensch gedacht, dass so was überhaupt möglich ist.«
»Stimmt schon, aber das kann ich einfach nicht glauben.«
»Du hältst doch sonst alles für möglich.«
»Ja, aber das?« Martin schüttelte den Kopf.
»Ich schätze, da müssen wir einen Fachmann fragen.«
»Richtig!« Martin war froh, mit Michael darüber gesprochen zu haben. Wie immer führte das zum nächsten Schritt. »Im Präsidium ruf ich Stieber mal an. Der kann das sicher einschätzen.«
43
Ein Mann Ende dreißig reichte erst Martin, dann Michael seine verschwitzte Hand. Er war ein Hüne mit dichtem, leicht ergrautem Haar und
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