Ins dunkle Herz Afrikas
Tomaten in ihre Balkonkästen. Doch die mickerten vor sich hin. »Ich werde Pferdeäpfel besorgen, mein Gärtner sagte immer, dass sie als Dünger unübertroffen sind«, kündigte sie an und marschierte los. Eine hoch gewachsene, hagere ältere Dame, ganz in Schwarz, auf dem Kopf einen wagenradgroßen, schwarzen Strohhut, weil eine Dame nie ohne Hut ausgeht. Über dem Arm trug sie eine geräumige Einkaufstasche sorgfältig mit Zeitung ausgelegt, die sie, in tadelloser Haltung, vor den dampfenden Haufen graziös in die Knie gehend, allmählich mit Pferdeäpfeln füllte.
So begegnete sie jeder Situation in ihrem Leben mit unerschütterlicher Haltung und geradem Rücken und dem selbstverständlichen Bewusstsein ihres eigenen Wertes. Ihre Enkelin bewunderte sie dafür.
Jetzt hob Henrietta nur ihre Brauen, ließ ihre Augen über Herrn Brunckmöller gleiten, Eis klirrte in ihrer Stimme. »Für diese Ge-102
gend wird es ausreichen.« Man sagte ihr nach, sie ähnelte Großmama.
«4 Ihn
schien das weniger zu beeindrucken. Er stapfte zu lan. »Verfügen Sie denn über genügend Barmittel, um sich hier ein Haus leisten zu können?«
lan, der den Wortwechsel nicht gehört hatte, starrte amüsiert von der Höhe seiner einsneunzig auf Herrn Brunckmöller herunter, der gut eineinhalb Kopf kleiner war. »Aber sicher«, antwortete er, »wir haben eine Bank überfallen.«
Aufgebracht, als er merkte, dass er ausgelacht wurde, patschte ihr neuer Nachbar durch die Pfützen zu einer versteckt liegenden Pforte, die in seinen Garten führte, und knallte sie vernehmlich hinter sich zu.
Herr Brunckmöller wartete dann, bis der Keller stand und auch die Mauern fürs Erdgeschoss, dann legte er zusammen mit Kraskes, den Nachbarn zum Süden hin, den Bau durch einen Einspruch still, und ihnen verging das Lachen. Angeblich war das Haus zu nahe an die Grundstücksgrenze gebaut. Merkwürdigerweise waren die Grenzsteine im Dickicht nicht aufzutreiben, und als man sie fand, lag das Haus tatsächlich zu dicht an der Nachbargrenze. Der Architekt, ein riesiger, dicker Mensch mit eleganten, kleinen Füßen und dem Temperament eines gereizten Nashorns, fühlte sich schrecklich in seiner Berufsehre gekränkt und bombadierte die Behörde mit Einsprüchen, Widersprüchen und Anzeigen. Die Affäre zog sich über ein halbes Jahr hin. Da sie bereits das gemietete Haus gekündigt hatten, gerieten sie in ernste Schwierigkeiten. Sie mussten einen Anwalt nehmen. Nach Wochen zäher Verhandlungen gelang es ihm, die Angelegenheit außergerichtlich zu lösen. Die angrenzenden Grundstücke wurden noch einmal vermessen, und siehe da, die Grenzsteine lagen falsch. Wer sie versetzt hatte, war nicht zu beweisen, und sie mussten für die Neuvermessung zahlen. Endlich, im Februar 1981, konnte die Familie einziehen. »Ich werde eine große Einweihungsparty geben«, freute sie sich, »mit Spanferkel, Mozzarella und Gambas und Gallonen von Stoff!« Es dauerte 103
dann vier Wochen, bis sie alle auf ihrer Einladungsliste unter einen Hut bekam. Das Datum lag drei Monate in der Zukunft. »Ich will meine Einweihungsparty jetzt feiern, nicht erst in drei Monaten«, informierte sie Ingrid gereizt, »da ist es ja schon fast wieder Zeit zu renovieren.«
Diese lächelte gönnerhaft. »Um diese Zeit ist doch kein Mensch in Hamburg, zu dieser Zeit läuft man Ski. Das musst du dir merken. Im Sommer ist man auf Sylt, im März läuft man Ski. Außerdem wirst du dich daran gewöhnen müssen, dass man in Hamburg lange im Voraus plant. Leg dir wie wir alle einen Terminkalender an, dann kriegst du deine gesellschaftlichen Verpflichtungen auf die Reihe.« Finster prüfte sie Ingrids Kalender. Kein Tag war ohne Eintragung, jede war doppelt unterstrichen. Die Striche wiederum kreuzten die senkrechten Teilstriche des Kalenders. Für Sekunden spielte ihr die Fantasie einen Streich, machte die sich kreuzenden Striche zu Gefängnisgittern. Sie wischte sich über die Augen. Der Spuk verschwand. »Du hast ja keinen Tag mehr frei! Hast du nie das Bedürfnis, spontan etwas zu unternehmen?«
»Überhaupt nicht, ich würde in Panik geraten!« Ingrid lachte mit entwaffnender Offenheit. »Wenn du erst länger hier lebst, wirst du mich verstehen und auch nicht mehr ohne einen auskommen.« »Aber hier«, deutete Henrietta zornig auf den Sonnabend in drei Wochen, »das ist doch nur ein dämlicher Antikmarkt, deswegen kannst du an dem Tag nicht zu meiner Einweihungsparty kommen?« »Gib her, das verstehst
Weitere Kostenlose Bücher