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Ins dunkle Herz Afrikas

Ins dunkle Herz Afrikas

Titel: Ins dunkle Herz Afrikas Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephanie Gercke
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spürte. Sie wehrten ab, aber der Ober kam beflissen angeschossen, im Nu war ein zweiter Tisch herangerückt und eingedeckt. Sie hatten keine Wahl. Sie warfen sich einen schicksalsergebenen Blick zu und wechselten die Plätze. »Ich heiße Len.« Der Dicke zog ihr den Stuhl heran. Groß, massig, schon fast fett zu nennen, stand er da und musterte sie aus eng stehenden Augen. Nicht seine körperliche Fülle, die abstoßend wirkte trotz des Kaschmirblazers mit Clubemblem, auch nicht die eng stehenden Augen störten sie, sondern dieser prüfende Blick, der jeden Zentimeter von ihr abtastete, der auch lan genauestens inspizierte und dem nichts entging. Das und die Tatsache, dass das Lächeln seine Augen nie erreichte. Sie schätzte ihn auf Ende dreißig oder Anfang vierzig. Sein linker Arm war oberhalb des Ellbogengelenkes amputiert.
    Seine Tischnachbarn waren zweifellos in irgendeiner Weise von ihm abhängig, und die Blonde mit dem großen Busen schien seine Gespielin zu sein. Sie beschloss, sehr, sehr vorsichtig mit diesem Len umzugehen und sich möglichst bald zu verabschieden. Einen konkreten Grund wusste sie nicht einmal sich selbst zu nennen.
    »Woher kommen Sie?«, fragte die Blonde und schenkte lan einen make-up-umflorten Augenaufschlag.

    »Aus der Heimat«, antwortete Len, »das hört man doch an ihrem Tonfall.« Wieder dieser durchdringende Blick! »Du meine Güte, und dabei hab ich doch versucht, mein schnöseligstes Englisch zu sprechen!«, rief sie aus und nahm sich vor, 107
    Sprachunterricht zu nehmen, um sich diesen verräterischen Akzent wegschleifen zu lassen. Und dann erlebte sie, wie schon so häufig, dass sie und lan automatisch als Freunde der Apartheidregierung eingestuft wurden, als Schwarzenhasser, als Menschen, die von der Überlegenheit der weißen Rasse überzeugt waren. Weder lan noch sie korrigierten diese Annahme. Sie ließ Len erst einmal reden. »Wo leben Sie in Südafrika?«, fragte Len dann. »Wir leben in Europa«, antwortete sie, bewusst unbestimmt, »schon lange.«
    »Aha«, meinte Len. Mit dem Armstumpf hielt er den Schwanz der Languste auf dem Teller fest und drehte ihr den Kopf mit seiner Hand ab. Dann zerquetschte er den Panzer mit der bloßen Kraft dieser einen Hand, zog das Fleisch mit den Zähnen heraus, tunkte es in Zitronenbutter und lutschte es schlürfend in sich hinein. »Gab es Ärger in Südafrika?«, fragte er dann beiläufig, allerdings ohne sie aus den Augen zu lassen.
    Die Frage traf Henrietta geradewegs im Solarplexus. Kein normaler Mensch hätte das gefragt. So etwas fragte nur ein Mensch, der von Berufs wegen im Unrat wühlte. Sie lachte. Es klang überdreht in ihren Ohren. »Warum sollte es? Im Gegenteil, es war die schönste Zeit meines Lebens.« Das wenigstens stimmte.
    »Wir sind noch häufig dort auf Urlaub.« Auch nur eine beiläufige Bemerkung, aber sie wusste, dass sein Misstrauen jetzt, sollte es bestanden haben, schwinden würde. Leute, die vor Jahren aus Südafrika abgewandert waren und noch immer häufig ihren Urlaub dort verbrachten, waren in Ordnung. Waren willkommen. Hatten die korrekten Ansichten. »Haben Sie Kinder? Sind die Südafrikaner?« Wieder so eine harmlose Frage, die Len da stellte. Keiner würde dahinter Böses vermuten.
    Eine Alkoholfahne wehte mit den Worten zu ihr hinüber. Sie kräuselte die Nase.
    »Kinder?« Ihre Stimme kletterte eine Oktave. Sie schoss lan einen warnenden Blick zu. »Wir haben leider keine.« Die Sonne fiel hinter Len und seiner Blonden ins Meer wie ein riesiges Stück rot glühende Kohle. Henrietta glaubte es zischen zu hören, als
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    sie die Wasseroberfläche berührte. »Wir sind schon so lange wieder in Europa -
    wie geht es denn so da unten?« fragte sie Len. »Wir haben es mit einer kommunistischen Verschwörung zu tun«, antwortete dieser, »sie kommen über die Grenze wie hungrige Wölfe und denken, sie können uns - uns! - aus unserem Land verjagen.« Ein kurzes, hässliches Lachen explodierte aus seiner Kehle. Er hatte sich zu dem Wein regelmäßig Whisky bestellt und wurde zusehends betrunkener. »Erst haben wir in Südwest aufgeräumt, und glauben Sie mir, wir haben den Kaffern klargemacht, dass mit uns nicht zu spaßen ist!« Mit verklärter Miene kippte er wieder einen Whisky, und nun zeigte sich auch Alarm in lans Augen. Sie fing seinen warnenden Blick auf.
    Len winkte dem Ober und deutete auf sein Whiskyglas. »Bis oben hin! Ohne Eis!«
    befahl er. »Ich zahl doch nicht für gefrorenes

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