Ins dunkle Herz Afrikas
nachdenklich wie Neil, und ebenso leidenschaftlich, wenn er an etwas glaubte.
Micky war ein charmanter Bengel mit der Lebhaftigkeit seiner Mutter, schnellem Witz und gut in jedem Sport. Henrietta und ihn verband etwas ganz Besonderes.
An einem Dienstag im Januar 1974 hatte sie Besuch von Tita und den Kinder bekommen. Sie fühlte wie damals die feuchte Hitze, die Kleidung und Haare verklebte, alle Möbelpolster durchtränkte. Jan, Julia und Dickie tobten kreischend draußen im Schwimmbecken herum. Tita und sie saßen auf der Schlafzimmerterrasse über die neuesten Modezeitschriften gebeugt, Micky, eben über vier Jahre alt, spielte zu ihren Füssen mit einer ihrer schwarzen Katzen.
Sie diskutierten die Vorzüge von Miniröcken gegenüber Maxiröcken, als sie ein gellender Schrei hochschreckte, der ganz offensichtlich von May, Mickys Kindermädchen, stammte. Sie fuhren hoch. Micky war verschwunden, und auch das Geplansche der anderen war nicht mehr zu hören. »Die Kinder, um Himmels willen!« Sie jagten durch das Haus, mit wachsender Angst nach den Kindern rufend. Tita stolperte, fiel hin, Henrietta hetzte weiter, bis sie die Terrasse erreichte. Unten im Garten stand May und kreischte, dass ihr fettgepolsterter Körper bibberte. »Micky!«, schrie sie, »Mickylein, komm herunter!« Henrietta folgte ihrem Blick, und ihr stockte der Atem. Behände wie ein Äffchen kletterte Micky ganz oben in der Krone des alten Mangobaums herum, dort, wo die Zweige dünn und sehr biegsam wurden, höher und immer höher. Sie hörte ihn aufgeregte Rufe ausstoßen, die wie Lockrufe klangen.
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Hektisch suchte sie den Baum mit den Augen ab, und dann sah sie es. r)er Busch am Zaun wackelte wild, ein Schatten fegte durch das Blattgewirr, und für den Bruchteil einer Sekunde sah sie die entblößten Fangzähne der Affenmutter.
Micky hatte keine Chance, nicht gegen das Gebiss einer wütenden Pavianmutter.
Aber noch saß diese etwa zwanzig Meter entfernt im Gebüsch. »Augusta, komm her!«, befahl sie, während sie sich den Rock von den Hüften fetzte und mit einem Satz den untersten Ast des Mangobaums erklomm. Aus dem Augenwinkeln sah sie, dass Augusta ausnahmsweise tatsächlich rannte. »Stellt euch unter den Baum, schreit, macht Krach, verjagt die Affenmutter!«
Augusta begriff sofort. Sie stieß einen Befehl in Zulu aus, und May rannte, so schnell sie ihre Beine trugen, ins Haus und kam Sekunden später mit ein paar Töpfen und Deckeln zurück. Die beiden schwarzen Frauen veranstalteten einen ohrenbetäubenden Lärm. »Was macht Micky da oben?« Tita kam in den Garten gestürmt. Julia krauste ihr entzückendes Naschen, dass die Sommersprossen tanzten. »Er will mit dem Affenbaby spielen!« »Oh, mein Gott!«, schrie Tita,
»Micky, komm sofort herunter! Fass das Affchen nicht an, es ist zu gefährlich!«
Rasch kletterte Henrietta von Ast zu Ast. Die Affenmutter am Zaun rüttelte verängstigt kreischend die Zweige einer Tibouchina, bis die Aste brachen.
Armes Tier, sie hat auch nur Angst um ihr Junges, dachte sie, ertastete mit den Füßen eine Astgabel gut zwei Meter unter Micky und wusste, dass sie nicht höher klettern konnte. Ihr Gewicht war schon jetzt das Äußerste, was die alten Zweige trugen. Sie sah zu Micky hoch, der auf einem Ast lag, ihn mit Armen und Beinen umklammerte und seine rechte Hand nach dem winzigen Fellkloß ausstreckte. Das Affchen hing in genau der gleichen Haltung an emem noch dünneren Zweig und zitterte vor Angst. »Micky, Liebling, lass das Äffchen. Es hat Angst vor dir.« Ganz sanft sprach sie, denn eine unachtsame Bewegung, und Micky würde rund secns Meter in die Tiefe stürzen und auf dem Boden aufschlagen, aus em scharfkantige Felsen herausragten.
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»Mami, guck mal, das Affchen mag mich!«, quiekte Titas kleiner Sohn aufgeregt.
Von seiner Mutter kam nur ein Wimmern.
»Nein, Micky, es hat Angst«, sagte Henrietta ruhig, »jetzt hör mir mal genau zu! Bitte dreh deinen Kopf zu mir, langsam, und sieh mich an!« Sie wartete, bis er gehorchte. Unter ihr veranstaltete Augusta mit scheppernden Topfdeckeln und lautem Geschrei einen Höllenlärm. Die Affin sprang hin und her, bleckte ihr Furcht erregendes Gebiss, schrie wie in höchster Angst. Die Spitzen einer Gruppe wilder Aprikosenbäume auf dem Nachbargrundstück schlugen plötzlich hin und her, und sie wusste, dass sie kaum noch Zeit hatte, Titas Sohn zu retten.
Die Affenherde kam der Affenmutter und ihrem Baby zur Hilfe, und vor einer
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