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Ins dunkle Herz Afrikas

Titel: Ins dunkle Herz Afrikas Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefanie Gercke
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schroffem Ton, kurz angebunden, begleitet von einer vieldeutigen Handbewegung, kam die Antwort. Henrietta begriff, dass sie nicht weiterfragen durfte, erinnerte sich gleichzeitig an einen Zeitungsbericht über den Fund zweier Kinderleichen im Busch, denen gewisse Organe fehlten. Muthi-Mord, hieß es. Sie versuchte sich mit dem Argument zu beruhigen, dass diese Meldung vermutlich ein Gerücht war, von gewissen Leute mit Absicht ausgestreut, um die Angst der weißen Bevölkerung zu schüren. Es gelang ihr nur teilweise.
    Sie durfte auch nicht zusehen, was mit Imbali geschah, und erschrak, als sie dann entdeckte, dass der Inyanga zwei Handbreit über dem Knie des Kindes, eben oberhalb der Schwellung, einen Draht derartig eng um ihr Bein gelegt hatte, dass er dem kleinen Mädchen tief ins Fleisch schnitt. Es musste ihr sehr wehtun, aber sie gab keinen Laut von sich. Als sie sich übergeben musste, war Henrietta so besorgt, dass sie ihren Vorhaltungen immer lauter Luft machte. Es nützte nichts. Sarahs Ausdruck wurde immer verschlossener. Der Draht blieb.
    Dann sprach der Inyanga zu Sarah, sein Blick aber glitt dabei zu ihr. Unruhig bemerkte sie, wie Sarah erschrak, ihr auswich, als sie versuchte, ihren Blick zu erhäschen. Bis heute konnte sie das Unbehagen nicht vergessen, das in ihr hochkroch, diese Gewissheit, dass der Inyanga etwas gesehen hatte, was sie noch nicht wissen konnte. Etwas, das nichts Gutes verhieß.
    »Ein Sturm wird aufziehen und dich hinwegfegen«, flüsterte Sarah endlich, hielt den Kopf gesenkt und ihre Augen abgewandt, »deine Schatten sind dir nicht wohlgesinnt, du solltest sie besänftigen.« Sie brachte ein spöttisches Lächeln zustande, eines, das eigentlich ihr
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    selbst galt, eines, das zu überdecken suchte, wie sehr sie diese Worte beunruhigten. Energisch wehrte sie sich dagegen, fuhr mit Sarah und Imbali wieder nach Hause.
    Alle sechs Stunden löste Sarah den Draht und schob ihn ein wenig tiefer, und im selben Tempo verschwand die Schwellung. Zwei Tage später war das Bein wieder glatt und normal. »Die Schwellung wäre auch von allein zurückgegangen«, belehrte sie die Zulu, »das war reiner Zufall.«
    Sarah lächelte, unergründlich, geheimnisvoll, aufreizend überlegen, und zog sich in ihre Welt zurück. Henrietta wurde von dem frustrierenden Gefühl gepackt, vor einer verschlossenen Tür zu stehen, und kein Schlüssel, den sie kannte, wollte passen.
    Wenige Monate später explodierte erst lans Büro, dann mussten sie, von Agenten verfolgt, getrennt voneinander, heimlich das Land verlassen. Ein Sturm hatte sie hinweggefegt.
    Vielleicht sollte ich ihn noch einmal konsultieren, vielleicht weiß er, ob ich nach Afrika zurückkehren kann, vielleicht findet er ein Kraut gegen mein Heimweh, verspottete sie sich selbst. »Klar komme ich mit«, antwortete sie Tita, »ist es weit, wann sind wir zurück?« »Drei Stunden hin, drei zurück, zwei dort. Wenn wir früh losfahren, sind wir nachmittags wieder zurück«, rechnete Tita. »Twotimes wird fahren.«
    Titas Söhne, Michael und Richard, kamen etwas verspätet. Micky und Dickie waren noch nicht verheiratet und hatten ihre Freundinnen mitgebracht, hübsche, sorgfältig angemalte junge Südafrikanerinnen mit Schwimmerschultern und muskulösen Tennisarmen. Micky bestellte einen Rock 'n' Roll bei der Band. »Mal sehen, ob du schon eingerostet bist«, grinste er teuflisch und schleuderte Henrietta mit wilden Verrenkungen herum.
    »Einen Moment!« Lachend krempelte sie den schmalen Rock ihres bodenlangen, elfenbeinfarbenen Kleides bis über die Knie hoch, zog die Schuhe aus und zeigte Micky, wie eine Rock 'n' Roll tanzt, die das 238
    schon konnte, bevor er auch nur ein Glitzern in den Augen seines Vaters war.
    »Henrietta«, rief Neu irgendwann und hielt ihr das Telefon hin, »hier ist eine Lady dran, die kaum Englisch spricht. Scheint deine Susi zu sein.«
    »Es ist nicht meine Susi«, japste sie, unwillig, ihren Tanz zu unterbrechen.
    »Henrietta!«, quietschte es aus dem Hörer in Neils Hand. Aufgebracht packte sie das Telefon, wich an den Rand der Tanzfläche zurück. »Was willst du?«
    »Ich bin so alleine«, flennte Susi, »heute ist doch Weihnachten. Kann ich bitte, bitte zu euch kommen, ich störe auch ganz bestimmt nicht! Ich setz mich in eine Ecke und bin ganz leise.« Sie hätte sie erwürgen können! »Hier kann keiner mehr fahren, wir haben alle getrunken.« Sie war schnell mit Ausreden zur Hand, das lernt man, wenn man lügen

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