Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Ins dunkle Herz Afrikas

Titel: Ins dunkle Herz Afrikas Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefanie Gercke
Vom Netzwerk:
Seidenunterhöschen.
    Julia trug für Wochen nur Sachen, die man schnell vorne aufknöpfen konnte.
    Auch sonst hatte die Geschichte ihre Wirkung nicht verfehlt. Die Zwillinge achteten auf jeden Schritt, den sie außerhalb der befestigten Wege machten.
    Befriedigt beobachtete sie, dass sie tiefes Gras mieden, instinktiv einen großen Bogen um die Kronen der Bäume machten, im unbestellten Teil des Grundstücks nie über einen großen Stein oder einen Baumstamm stiegen, sondern erst auf ihn hinauf, um den Boden dahinter mit den Augen abzusuchen, ehe sie ihren Fuß daraufsetzten.
    Die afrikanische Sonne bräunte ihre Haut zu einem tiefen Bronze, verlieh ihrem Haar einen Goldton, ließ das Blau ihrer Augen intensiver leuchten. Nach ein paar unbeschwerten Wochen meldeten lan und sie die Zwillinge in der Mount-Edgecombe-Schule an. Zur Anmeldung trugen Julia und Jan Jeans und farbige Sommerpullis, sie waren so angezogen, wie sie auch in Deutschland in die Schule gingen. Es war gerade Pause, und die Schüler in ihren kakifarbenen Uniformen, gleichfarbigen Strümpfen und schwarzen Schuhen tobten zwischen den niedrigen Bungalows herum. Die Zwillinge flatterten wie Paradiesvögel vor dieser einfarbigen Kulisse herum. »Die sind ja alle weiß hier«, stellte Julia fest, »wo sind denn die anderen? Ich seh Rosie gar nicht.« Dorothys Tochter Rosie hatte Dulcie ab und zu besucht, und Julia hatte sich mit dem schüchternen Mädchen angefreundet. »Ich dachte, Rosie ist auch hier, sie geht doch auch in Mount Edgecombe in die Schule.«
    Sie und lan schauten sich betreten an. Diese Schule war eine kleine Schule für Weiße, die ursprünglich von den Zuckerbaronen für die Kinder ihrer weißen Angestellten gebaut worden war. Die Kinder der Farbigen, hauptsächlich Inder, gingen auf ihre eigene Schule, die Kinder der Schwarzen mussten wiederum in eine Schule in ihrer Wohngegend gehen. »Rosie geht in eine andere Schule ...« »Dann will ich auch in diese Schule gehen, Rosie ist nämlich meine Freundin.« Sie streckte einem Jungen, der sie unverhohlen anstarrte, die Zunge heraus.
    »Liebes, Rosie geht in eine Schule für Zulus, da kannst du nicht hingehen.«
    »Das versteh ich nicht, warum denn nicht?«
    Weil sie schwarz sind und das Gesetz es so will, antwortete sie ihrer Tochter schweigend. So hatte ihr vor vielen Jahren ihre Freundin Glitzy den Unterschied zwischen Schwarz und Weiß erklärt. »Das versteh ich nicht!«, hatte sie gesagt, wie jetzt ihre kleine Julia. Dirk Daniels, Glitzys Vater, gab ihr die Antwort in einem Satz, der ihr als schwarze Wolke am Himmel ihres Paradieses zu stehen schien. »Du wirst es verstehen, wenn du erst lange genug hier lebst«, hatte er gesagt. Wie eine Keule sauste dieser Satz auf sie hinunter, wenn sie wieder etwas in dieser sehr seltsamen Gesellschaft Südafrikas entdeckt hatte, was sie nicht verstand. Sie hatte sich geschworen, nie so zu werden wie die anderen, die sie kannte. Ein Ring von schubsenden, kreischenden Kindern hatte sich um die Cargills gebildet. Kichernd deuteten sie auf Jans Beatlefrisur - kragenlang und die Ohren bedeckend - und kommentierten die Kleidung der Zwillinge. »Wir sind doch keine Zootiere«, fauchte Julia.

Zwei Tage später bestiegen sie in ihren brandneuen Kakiuniformen den Schulbus, unterschieden sich durch nichts mehr von den anderen Schülern. Keiner machte sich mehr lustig, sie gehörten nun dazu.
    »Weißt du eine Antwort?« Sie liefen wie an jedem Abend den Strand entlang. Es war Ebbe, und sie kauerte sich auf dem flachen Felsen in der Mitte des größten Felsenteichs, der nicht mehr als einen halben 80
    81
    Meter tief und von gläserner Durchsichtigkeit war. Eine fingerdünne Muräne, auffällig schwarzweiß geringelt, schlängelte sich flink über den Meeresboden und verschwand unter einem großen Stein. »Natürlich nicht, es gibt keine«, knurrte lan, »wir können nur versuchen, es ihnen zu erklären.«
    »Warum wir wieder hier sind.« Sie senkte ihre Stimme, es war keine Frage.
    »Ja.«
    »Und wie?« Die Muräne schob neugierig ihren Kopf hervor, als ein durchsichtiges Fischchen unmittelbar vor ihr den Felsbewuchs abgraste.
    »Und wie?« Die Muräne schoss vor, packte das zappelnde Fischchen und zog es unter seinen Stein.
    »Ach, verdammt, sag ihnen einfach die Wahrheit, erzähle ihnen unsere Geschichte, deine Geschichte, sie sind alt genug.« Also erzählte sie ihren Kindern von der Insel, auf der sie geboren wurde, von ihrer Sehnsucht nach Afrika, ihrem

Weitere Kostenlose Bücher