Ins dunkle Herz Afrikas
schnalzte empört mit der Zunge, »sie schleicht ums Haus wie eine Katze, die stehlen will«, sie schaute zur Seite, »außerdem hat sie den bösen Blick.«
Aufgebracht packte Henrietta sie am Arm. »Sag das nie wieder! Das ist Unsinn, und das weißt du!«
Augusta fuhr zusammen. »Der Tokoloshe hat es wohl weggenommen«, stotterte sie,
»sehr schlimmer Geist, dieser Tokoloshe.«
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Sie verbarg ein Lächeln. Der Tokoloshe war ihr bis zum Überdruss bekannt. Ein mythisches Wesen, das nur einen Meter groß war, weswegen auch Sarahs Bett immer auf Ziegelsteintürmchen stand, ein Wesen, von dem man glaubte, dass es in Flüssen lebte. Ein diebischer, boshafter Geist, der in Südafrika für jede Missetat verantwortlich gemacht wurde. Es hieß, dass es Sangomas gab, die sich einen Tokoloshe schufen, um ihn für ihre dunklen Machenschaften zu nutzen.
Sarah hatte ihr, der weißen Frau, vor vielen Jahren offenbart, wie tief die Angst vor Dämonen in ihrem Volk verwurzelt ist. Es war eine seltene, intime Situation. Sarah lag mit hohem Fieber im Bett, Hen-rietta saß auf einem Stuhl neben ihr und legte ihr kühle Kompressen auf Stirn und Nacken. Durch die Ziegelsteintürmchen lag die junge Zulu in Augenhöhe. Ihre Gedanken schienen zu wandern, ruhelos tasteten ihre heißen Hände nach Henriettas, ununterbrochen brabbelte sie in Zulu, und einmal mehr bereute sie, des Zulu nicht annähernd so mächtig zu sein wie Sarah des Englischen. »Tokoloshe«, verstand sie plötzlich, »er darf nicht hereinkommen. Wenn er klopft, darf man nicht antworten, kein Wort darf man mit ihm reden und nicht die Tür öffnen.« Sarahs Lippen waren aufgesprungen, sie sprach schwer, als gehorchte ihr die Zunge nicht. »Wer ihm antwortet, wird wahnsinnig, wer ihm öffnet, stirbt.« Angstvoll umklammerte sie die weiße Hand.
»Aber, Sarah, das ist doch ...« Ein angsterfüllter Blick aus fiebergeröteten Augen traf sie, und sie brach ab. Sie kannte Sarahs Volk gut genug, um sofort aufzustehen und die Tür abzuschließen. »Nicht antworten, bitte, nicht mit ihm reden«, flüsterte die junge Schwarze eindringlich und versank wieder in Fieberfantasien. Victor Ntombela erzählte ihnen die Sage vom Tokoloshe.
»Mancher Sangoma braucht einen Tokoloshe, um böse Taten für ihn zu vollbringen. Er schneidet einer Leiche die Zunge heraus, löffelt die Augen aus ihren Höhlen und rammt einen glühenden Stab in den Körper, so dass er auf unter einen Meter schrumpft. Dann bläst er ihm Zaubermedizin durch den Mund, und der Tokoloshe wird zu seinem willenlosen Werkzeug.«
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»Und das glaubst du?«, lachte Henrietta, »doch nicht ernsthaft, oder?«
Er sah sie an, sein Gesicht erstarrte zu einer ausdruckslosen Maske, als sei es aus Ebenholz geschnitzt mit Löchern für seine Augen, in denen ein seltsames Feuer glühte. Mit diesem Blick hatte auch Sarah sie oft angesehen, bevor sie sich endlich verstanden. Dieser Blick öffnete einen Graben zwischen ihnen, dieser Blick schloss sie von diesem Teil seines Lebens aus. Sie hatte etwas zerstört. Sosehr sie sich auch bemühte, gelang es ihr nicht, diesen Graben wieder zuzuschütten.
Das Besteck blieb verschwunden. Auf die Drohung, die Polizei zu holen, beteuerte Augusta zwar vehement ihre Unschuld, aber Henrietta glaubte ihr kein Wort. Sie zahlte ihr den Lohn für den laufenden Monat und warf sie hinaus. Zu ihrem Erstaunen reagierte Augusta verunsichert, setzte an, etwas zu sagen, ließ es dann aber. Eine halbe Stunde später verließ sie, düstere Drohungen vor sich hin murmelnd, den Khaya, setzte sich ihr Bündel auf den Kopf und zog davon.
Abends lag ein längliches Paket auf dem Küchentisch. Alarmiert sah sie sich um. Wer hatte dieses Päckchen hier hingelegt? Wer war in ihrem Haus gewesen?
Sie packte einen Zipfel des Packpapiers und zog vorsichtig daran. Das Besteck rollte heraus. Mit zwiespältigen Gefühlen starrte sie darauf, versuchte zu verstehen. Ehe sie Ordnung in ihre Gedanken bringen konnte, tauchte Sarah aus der Dunkelheit auf, hinter ihr ein junges Mädchen, etwas füllig, aber sehr hübsch. »Das ist Augusta, meine Cousine. Sie wird dir den Haushalt machen«, verkündete sie, und Henrietta hörte in ihrem Ton deutlich die Warnung, dass es zwecklos war, sie über die andere Augusta und das Besteck auszufragen.
Widerstand regte sich in ihr. Sie wurde das Gefühl nicht los, dass Sarah etwas mit dem Verschwinden der anderen Augusta, die eigentlich Margaret hieß, zu tun hatte. Später einmal sah
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