Ins dunkle Herz Afrikas
Luft. »Sie waren vergiftet, die Kinder bekamen hohes Fieber, ihre Haut wurde verätzt, entzündete sich und löste sich in Fetzen ab.
Die Narben werden sie für immer behalten. Es sind zwei kleine Mädchen, fünf und sieben Jahre alt.« Als er weitersprach, war seine Stimme aufgeladen mit Schmerz und Hass. »Er ist der Hauptgrund, warum ich mich -«, er zögerte, vertraute wohl nicht einmal New Yorks Telefonen, »äh - für mein Land engagiere.«
Die beiden in Hamburg räumten schweigend das unberührte Frühstück weg und liefen danach mehrere Stunde durch den frostigen Märzmorgen die Elbe entlang.
Der Strom rauschte dahin, schiefergrau unter dem tief hängenden Himmel, Rabenkrähen hockten auf
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den noch winterkahlen Bäumen. Schwarz, bedrohlich. Wie eine böse Erinnerung.
Im Sommer dieses Jahres dann gewann ein siebzehnjähriger rothaariger Bengel aus Nordbaden die Krone der Tenniswelt, das Turnier in Wimbledon, und ihr Feldzug gegen den Terminkalender fiel endgültig in sich zusammen. Eine Tennisflutwelle brach über Deutschland herein, wirbelte das gesellschaftliche Leben gründlich durcheinander. Tennisclubs hatten im Handumdrehen eine jahrelange Warteliste und Aufnahmegebühren, für die man sich locker einen Kleinwagen kaufen konnte, die ganz feinen hatten Aufhahmestopp. Tennislehrer waren die neuen Stars der Gesellschaft. Von April bis Oktober hetzten alle von einem Tennisplatz zum anderen, jedes Wochenende war ausgefüllt mit Turnieren, und die Gespräche drehten sich um Lobs und Topspins, Asse und Rückhand. Jeder, der etwas auf sich hielt, jammerte über einen Tennisellbogen. Selbst Ingrid, die völlig unsportlich war, ließ sich von Carlo, ihrem Tennislehrer, schleifen. Als Henrietta ihn zum ersten Mal sah, wusste sie, warum. Er war groß, blond und muskulös. Eigentlich hieß er Karl-Heinz. »Sieh dir bloß diesen knackigen Hintern an«, keuchte ihre Freundin mit glasigen Augen.
Ingrid und Heiners Ehe wackelte bedrohlich, und wie ihre viele andere auch.
Heiner verbrachte jede freie Sekunde auf dem Tennisplatz, quälte sich zwischendurch im Fitnessstudio den Bauch ab und Bizeps an. Der Grund hieß Bettina, hatte schwarze Locken und Schlafzimmeraugen und war gerade mal knusprige fünfundzwanzig Jahre alt.
Ingrid hechelte Carlo hinterher. »Ich weiß, dass ich mich lächerlich mache«, beichtete sie Henrietta in einer privaten Minute am Rande der Tennisplätze,
»aber, weiß der Himmel, er ist es wert!« Mit den Augen streichelte sie über seinen ausgeprägten Gluteus ma-ximus. Um Ingrid von Carlo und Heiner von Bettina abzulenken, boten sich
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beide Cargills als Tennispartner an. »Aber nur zum Vergnügen«, warnte lan,
»ich halte nichts von sportlichen Exzessen, ich richte mich da völlig nach dem Lustprinzip.«
»Also, so geht das nun nicht«, mahnte Heiner, »ihr müsst euch schon anstrengen, schließlich wollen wir in die Regionalliga aufsteigen, da heißt es ran an die Buletten, trainieren, trainieren, trainieren!« Entsetzt machte lan einen Rückzieher. »So weit kommt das, das artet ja in Arbeit aus«, murmelte er und kaufte ein kleines Segelboot. »Das ist schließlich auch Sport. Vielleicht werde ich sogar bei Regatten mitmachen.« Segeln wurde sein größtes Freizeitvergnügen, und er begann mit Glasfaserbauteilen für Bootsrümpfe zu experimentieren.
Henrietta versuchte verbissen, ihre überstehenden Kanten abzufeilen. Als ihre sehr entfernte Cousine Susi Cornehlsen ihren heimlichen Verlobten Ralf Popp in diesem Jahr zu ihrem traditionellen Sommerfest schleppte, ertrug sie sogar ihn. Susi war die Tochter von Markus Cornehlsen, einem entfernten Cousin ihres Vaters. Sie hatte nie ganz nachvollziehen können, in welchem Verwandtschaftsgrad sie zueinander standen, so bezeichnete sie Susi als ihre sehr entfernte Cousine.
Sie mochte Ralf Popp nicht. Er war ein Angeber, aber ein gut aussehender, gut verdienender, amüsanter Angeber, ungefähr so treu wie ein Straßenkater. Das merkten alle, aber ganz offensichtlich seine Verlobte nicht.
Als ihr Vater, Professor Doktor für Haut- und Geschlechtskrankheiten am Universitätskrankenhaus, der noch in einem Sack elegant aussah, seiner ansichtig wurde, rümpfte er verächtlich die Nase. »Nie werde ich begreifen, was meine Tochter an dem Parvenü findet!« Markus Cornehlsen hatte seine Ahnentafel in Gestalt eines sich verzweigenden Baumes von einem Kalligrafen auf schwerem, altem Pergamentpapier aufzeichnen lassen, wunderschön
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