Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Ins dunkle Herz Afrikas

Titel: Ins dunkle Herz Afrikas Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefanie Gercke
Vom Netzwerk:
ihr. Das Meer. Wie lange hatte sie auf diesen Anblick gewartet! Die Schaumkronen der lang gezogenen, ruhigen Wellenberge glänzten rotgold in der untergehenden Sonne, Palmen fächerten im leichten Abendwind.
    Sie schmeckte Salz auf ihrer Zunge, das flüchtige Parfüm blühender Gardenien und frischer Curry würzten die Luft. Über allem lag ein süßliches Aroma wie von überreifen Bananen, Durbans ureigenster Geruch.
    Ihr Durban! Ihr Zuhause! Zaghaft schlug ihr Herz ein paar Takte schneller, sie wartete auf das explodierende Glücksgefühl, die Enge der Kehle, die Tränen des Glücks, die dieses Wort doch bei ihr auslösen müsste.
    Doch sie wartete vergebens.
    Die Promenade - Durbans goldene Meile - der Strand, jedes freie Fleckchen, auch die Fahrbahn, war überfüllt mit Menschen. Mit Erstaunen stellte sie fest, dass es ausschließlich Schwarze und Inder waren. Kein weißes Gesicht war unter ihnen zu entdecken. Der Strand unterhalb der Promenade war immer für Weiße reserviert gewesen, Farbige hatten ihre eigenen Strande, die Inder südlich von Durban und, weit weg, damit es zu keinerlei Streitereien kam, nördlich die Schwarzen. Das war die brutale Alltäglichkeit des Apartheidsstaates gewesen.
    Ihres war auch das einzige Auto. Die Menschenmenge, viele, viele Tausende mussten es sein, teilte sich vor ihrem Kühler und floss als dunkelbrauner Strom um sie herum. Sie fuhren Schritttempo, immer langsamer, bis sie anhalten mussten. lan ließ den Motor laufen. Hen-rietta wusste, dass es eine Vorsichtsmaßnahme war, sie befanden sich in einer unübersichtlichen Situation, sie waren die einzigen Weißen, und das hier war Südafrika.
    »Was um alles in der Welt ist hier los?« Lärm hatte sie erwartet, normal für so viele Menschen, und Geschrei, aber es war ruhig. Nicht still - ruhig. Eine friedliche Heiterkeit lag über dieser unübersehbaren Menschenmenge.

Diejenigen, die sich ihnen zuwandten, lächelten. Sie lehnte sich hinaus. »Was geht hier vor?«, fragte sie einen •Schwarzen mittleren Alters, elegant in einem altmodischen, hellen
    224
    Anzug, »wir kommen aus Europa und sind seit vielen Jahren zum ersten Mal wieder hier - was ist geschehen?«
    »Sie haben die Strande für uns geöffnet, Madam«, lächelte er glückselig, »wir feiern.« »Die Strande?«
    »Ja, für immer. Jetzt dürfen wir an alle Strande und in die Restaurants.« Sein Lächeln wurde breiter. »Bald wird es keine Apartheid mehr geben, und wir werden gleich sein.« Er vollführte einen kleinen Hüpfer, schnalzte mit der Zunge, hob die Hand zum Abschied und entfernte sich.
    Ihr Wagen kroch im Schneckentempo vorwärts, sie drehte sich noch einmal nach dem Mann um. Seine Schritte waren lang und besitzergreifend, seine Bewegungen die eines großen Jungen. Wie glücklich er war, glücklich, dass man ihm erlaubte, den Strand des Landes seiner Väter zu betreten. Sie saß stumm und empfand ein solches Mitgefühl mit diesem Mann, dass es wie ein Schmerz war, und nun kamen ihr doch Tränen.
    »Warum heulst du denn?«, rief Susi erstaunt, »der Typ schien das doch toll zu finden.«
    Sie blieb ihr die Antwort schuldig. Ihr jetzt Südafrikas Politik zu erklären war ihr einfach zu viel. Am Eingang zum Gelände des Oyster-Box-Hotels versperrte ihnen ein Schlagbaum die Einfahrt, ein uniformierter Schwarzer notierte zuerst ihre Autonummer, dann fragte er nach den Namen und dem Grund ihres Besuches. Befremdet machten sie ihre Angaben und wurden eingelassen. In dem Hotel hatte sich, seitdem sie es vor neun-undzwanzig Jahren zum ersten Mal betreten hatte, nichts verändert. Die hohe, dunkel getäfelte Eingangshalle roch sogar noch wie früher. Honigsüß nach frischem Bohnerwachs und muffig durch die Feuchtigkeit des nahen Meeres. Der livrierte Inder am Empfang war nicht der, den sie gekannt hatte.
    225
    »Alles voll, Madam«, antwortete er gleichgültig auf ihre Frage. Er öffnete nicht einmal sein Hauptbuch. »Tatsächlich?«, bemerkte lan, »sehen Sie bitte genau nach.« Der Zwanzigrandschein wechselte so schnell die Hände, dass sie es nur durch Zufall bemerkte. Das, auf jeden Fall, war auch neu! »Bob Knox hätte den früher hochkant rausgeworfen«, kommentierte sie auf Deutsch. Der Knox-Familie gehörte einmal außer dem Oyster-Box-Hotel der Großteil von Umhlanga.
    Fünf Minuten später schloss ein blau livrierter Inder Susis Zimmer auf. Es lag zum Meer hin und war ziemlich klein. Eine Salzschicht auf den Fenster verhinderte den Blick aufs Meer, die

Weitere Kostenlose Bücher