Insel aus Stein: Mittsommerglück (German Edition)
Wort, jeden Satz wie ein Verhungernder. Was er las, rührte ihn zu Tränen, brachte ihn zum Schmunzeln. Es war eine äußerst merkwürdige Erfahrung, zugleich schmerzhaft und wundervoll. Immer wieder schrieb Annika davon, wie froh sie darüber war, dass er mit der Arbeit, die er so sehr liebte, einen derartigen Erfolg hatte. Sie bewunderte ihn für seine Kreativität, für seine Ideen und für seinen Ehrgeiz. Dale war nie klar gewesen, wie sie darüber dachte. Oftmals hatte er befürchtet, dass sie sich vernachlässigt fühlen könnte, weil er so viel Zeit in seinem Arbeitszimmer verbrachte, um zu schreiben.
Die Zeilen verschwammen vor seinen Augen. Annika wäre sicher enttäuscht von ihm gewesen, wenn er jetzt einfach so aufgegeben hätte. Vorsichtig klappte Dale das Tagebuch zu und legte es an seinen Platz zurück, entschlossen, erst dann wieder darin zu lesen, wenn er jede sich bietende Chance genutzt hatte,
Einsame Herzen
zu retten.
8. KAPITEL
C assie saß gerade mit Malin und ihren Enkelinnen am Frühstückstisch und kaute lustlos auf einer trockenen Scheibe Toast, als das Telefon klingelte. Die vergangene Nacht steckte ihr noch in den Knochen, denn sie hatte bis in die frühen Morgenstunden Dales Manuskript gelesen. Dementsprechend fühlte sie sich jetzt einfach nur müde und zerschlagen.
Lächelnd kehrte Malin in die Küche zurück und reichte ihr das Telefon. “Es ist für Sie, Cassie. Der Verlag.”
Mit einem Mal war Cassie hellwach. Der Verlag? Das konnte nichts Gutes bedeuten. Ihr Magen krampfte sich zusammen, als sie den Hörer entgegennahm und sich mit heiserer Stimme meldete.
“Guten Morgen, Miss Dorkins”, erklang eine fast schon übertrieben freundliche Stimme am anderen Ende der Leitung. Eine Stimme, die Cassie nie zuvor gehört hatte. “Mein Name ist Stephanie Taylor, ich bin Mrs. Masterson persönliche Assistentin.”
Also wusste Janet Masterson inzwischen, dass Cassie für Dolphin Books arbeitete, und auch, wo sie sich aufhielt. Lange hatte es nicht gedauert, aber das war ja auch nicht anders zu erwarten gewesen. Gequält schloss Cassie die Augen. Wahrscheinlich sägte sie gerade jetzt, in diesem Augenblick, bereits fleißig an ihrem Stuhl.
“Und was wünscht Mrs. Masterson?”, fragte sie und bemühte sich, ihrer Stimme einen beiläufigen Klang zu verleihen.
“Sie gab mir die Anweisung, Ihnen mitzuteilen, dass sie Sie am Mittwoch um elf Uhr in ihrem Büro erwartet. Das Flugticket liegt am Schalter der
British Airways
am Flughafen Stockholm für Sie bereit.”
Alle Farbe wich aus Cassies Gesicht. “Was haben Sie gesagt? Ich soll nach London zurückkehren? Aber ich habe hier eine Aufgabe. Ich muss …”
“Darüber habe ich leider keine Kenntnis. Ich richte Ihnen lediglich aus, was Mrs. Masterson mir aufgetragen hat. Am besten ist es wohl, Sie sprechen persönlich mit ihr.”
“Das ist eine verdammt gute Idee”, erwiderte Cassie ein bisschen gereizt. “Stellen Sie mich bitte sofort durch.”
“Das tut mir leid, Mrs. Masterson ist augenblicklich nicht im Hause. Aber sie erwartet Sie ohnehin am Mittwoch um spätestens elf Uhr in ihrem Büro. Dort können Sie dann in Ruhe alles Weitere miteinander besprechen.”
“Mittwoch?” Cassie atmete scharf ein. “Nein, das geht nicht. Richten Sie Mrs. Masterson bitte von mir aus, dass ich auf gar keinen Fall vor Ende nächster Woche nach London zurückkehren kann. Ich …”
“Mrs. Masterson ahnte wohl bereits, dass Sie so protestieren würden, daher soll ich Ihnen für diesen Fall mitteilen, dass Ihre Stellung bei Dolphin Books fristlos aufgekündigt wird, sollten Sie ihren Anweisungen nicht genauestens Folge leisten.”
Cassie hatte das Gefühl, den Boden unter den Füßen zu verlieren. Jetzt war es also tatsächlich so weit. Wie schlimm konnte es eigentlich noch kommen?
“Haben Sie so weit alles verstanden, Miss Dorkins?”
“Natürlich”, erwiderte Cassie schwach, dann hängte sie einfach ein. Sechs Tage. Bis Mittwoch waren es nur noch sechs Tage – und sechs Nächte, um genau zu sein. Wie, um Himmels willen, sollte es Dale und ihr in dieser kurzen Zeit gelingen,
Einsame Herzen
in eine lesenswerte Form zu bringen? Das war schlichtweg unmöglich!
“Schlechte Nachrichten?” Malin musterte sie besorgt. “Sie sehen aus, als wären Sie einem Gespenst begegnet.”
Damit lag die gutmütige Schwedin gar nicht so weit von der Wahrheit entfernt. Janet Masterson erschien Cassie immer mehr wie ein düsterer Schatten, der über
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