Paul Flemming 07 - Die Paten vom Knoblauchsland
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Mit spitzen Fingern griff Paul Flemming nach einem Radieschen, das von Erde säuberlich befreit und mit Glanzlack besprüht worden war, und ordnete es etwa drei Zentimeter neben der Stelle an, von der er es aufgelesen hatte.
Ähnlich ging er mit zahlreichen weiteren Radieschen vor, die er sorgsam auf dem blitzblank geschrubbten, steinernen Boden der Scheune platzierte. Es dauerte seine Zeit, bis er endlich mit seinem Arrangement zufrieden war, sich erhob, hinter das Stativ trat und durch das Okular seiner Fotokamera blickte.
»Au, mein Rücken!«, beschwerte sich eine junge Frau, die zwischen dem Rettichgemüse auf den kalten Bodenplatten lag und die er in seiner Konzentration auf die Radieschen beinahe vergessen hätte. Sie war heublond, schlank und trug lediglich einen Bikini, der farblich das kräftige Rot der Knollen und das Blattgrün des Strunks aufgriff.
»Nur noch einen Moment«, sagte Paul, während er an seinem Objektiv drehte, um die Schärfe nachzujustieren. »Wir haben es gleich. Bitte jetzt ganz entspannt bleiben.« Er drückte den Auslöser und aktivierte damit vier Blitzlichter, die mit segelflächenartigen Stoffen bespannte Schirme erleuchteten und die Scheune in ein gleichzeitig mildes und helles Licht tauchten.
»Wunderbar!«, rief Paul und schoss weitere Fotos. Er war glücklich über das Ergebnis, das er zunächst zwar nur im Miniaturformat auf dem kleinen Bildschirm seiner Spiegelreflexkamera anschauen konnte, dessen Qualität er jedoch mit Kennerblick zu beurteilen verstand.
In den vergangenen Tagen hatte er etliche Fotos dieser Art gemacht. Er hatte eine etwas kräftigere Dame um die vierzig im weißen, rüschenbesetzten Kleid mit einem ebenso weißen Haarband fotografiert, deren muskulöse Beine in quietschgelben Gummistiefeln steckten und die in mit Regenwasser gefüllten Spurrinnen auf einem Feldweg posierte. Eine andere Frau, ebenso vollbusig wie temperamentvoll, hatte sich für ihn zwischen Kisten voller Tomaten geräkelt, während wieder eine andere sich mit lasziver Miene an den mannshohen Reifen eines großen Traktors schmiegte.
Die Fotos waren allesamt für einen Kalender bestimmt, der vom Landwirtschaftlichen Erzeugerverband Nürnberger Knoblauchsland in Auftrag gegeben worden war. Er würde Bäuerinnen und Bauerntöchter im rustikalen Ambiente von Bayerns größtem Gemüseanbaugebiet zeigen. Seine Modelle sollten sich offenherzig geben, aber ja nicht zu sehr. Außerdem sollten die Bilder die naturnahe Heimatverbundenheit des Gemüseanbaus wiedergeben. Eine Kombination, die Paul während der Vorbereitung einiges Kopfzerbrechen bereitet hatte, die er dann aber durch das Darstellen starker Kontraste zu lösen versuchte. Das gelang ihm, indem er die natürlichen Vorzüge seiner Laienmodelle durch reichlich Makeup, Nagellack und Haarspray betonte und auf makellose Kleidung wie frisch aus der Reinigung Wert legte, sie gleichzeitig aber im unverfälschten landwirtschaftlichen Ambiente abbildete, wo er Erde, Staub und Maschinenöl ihre Wirkung entfalten ließ. Dadurch erschienen die jungen Damen auf den ersten Blick wie Fremdkörper in einer rauen Männerwelt, strahlten durch ihr selbstverständliches Auftreten in der ihnen vertrauten Umgebung jedoch das genaue Gegenteil aus. Ein reizvolles Spannungsverhältnis, meinte Paul.
»Miss Radieschen« würde das Kalenderblatt des Monats Mai schmücken. Als nächstes stand heute noch der Monat November in seinem Terminkalender, für den sich ein Modell mit Knoblauchzöpfen ablichten lassen würde. Auch für dieses Motiv hatte er seine ganz speziellen Ideen. Das Set hatte er bereits in den frühen Morgenstunden aufgebaut, sodass sie sofort loslegen konnten, wenn das Mädel auftauchte.
Doch das Knoblauchmädchen erschien nicht zum vereinbarten Termin. Paul hatte sein Radieschen-Set längst abgebaut, wartete vor der Scheune und blinzelte gegen die kräftige Augustsonne, um die Uhrzeit vom Turm der nahen Kraftshofer Wehrkirche ablesen zu können. Sein Modell war mehr als eine halbe Stunde überfällig!
Das passte Paul gar nicht, denn für den frühen Abend hatte er sich mit Katinka Blohm zum Essen verabredet. Er wollte seine frisch angetraute Braut ungern warten lassen, um nicht gleich am Anfang ihrer Ehe den Eindruck aufkommen zu lassen, dass er sein Interesse an ihr schleifen ließ, kaum dass der Ehering auf seinem Finger steckte. Missmutig stieß er mit der Fußspitze einen Ziegel beiseite.
»Das sieht Frieda gar nicht ähnlich.«
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