Insel der Freibeuter
vielgerühmten Perlengründe, bis der frischgebackene Vertreter der Casa de Contratación sich allmählich den Kopf darüber zerbrach, was ihm wohl blü-
hen würde, sollte es eines schönen Tages seinen
Vorgesetzten – den König eingeschlossen – auffal-
len, daß ab dem Tag, an dem er, Hernando Pedrárias Gotarredona, sein Amt angetreten hatte, Margarita aufgehört hatte, eine der wertvollsten »Juwelen der Krone« zu sein.
Alle Jahre wieder wartete der spanische Hof näm-
lich gespannt auf die Ankunft der Indienflotte mit ihren fabelhaften Schätzen: Gold aus Peru, Silber aus Mexiko, Smaragde aus Neu-Granada, Diamanten aus Caroni und eben Perlen aus Margarita. Nun hätte der Gesandte der Casa in Potosá gut und gerne behaupten können, tut uns leid, Majestät, die dorti-gen Goldminen sind erschöpft, doch wer hätte Don
Hernando schon abgenommen, daß sämtliche Au-
stern der Karibik über Nacht beschlossen hätten,
keine Perlen mehr zu produzieren?
Also grübelte Don Hernando wochenlang über sein
Problem nach, doch als guter Beamter und Absol-
vent der Verwaltungsschule der Casa kam er auf
alles, nur nicht auf das Naheliegende: schlicht und einfach einen gerechten Preis für die Perlen zu zahlen. Seitdem Don Hernando seinen Verstand gebrau-
chen konnte, hatte man ihm nämlich eingebleut, daß auf dieser Welt nur zählte, für jedes Schwert, jeden Meter Stoff, ja für jeden Nagel, der den Ozean über-querte, den maximalen Profit einzustreichen.
Das absolute und aberwitzige Monopol, das die Ka-
tholischen Könige der Casa de Contratación verliehen hatten, hatte diese in ein so kompliziertes Para-graphennetz eingesponnen, daß sich die spanischen Kolonien trotz der mannigfaltigen Reichtümer der
Neuen Welt fast drei Jahrhunderte lang nie wirklich entfalten konnten.
Die Idee des sevillanischen Kirchenmannes Rodri-
guez de Fonseca, der seinerzeit die höchste Autorität des Westindienhandels war und das uneingeschränk-te Vertrauen von Isabella der Katholischen genoß, war anfänglich ja so abwegig nicht gewesen. Die
Beziehungen mit den von Kolumbus gerade erst
entdeckten Ländern hatten wohl tatsächlich eine
wirtschaftliche und juristische Instanz nötig, die Un-ternehmungen in geordnete Bahnen lenken und
Banditen und Abenteurer daran hindern konnte, an-
archische Zustände herzustellen.
Doch obwohl Rodriguez de Fonseca sich so weit
wie möglich an das erfolgreiche Vorbild der portugiesischen Casa de Guinea anzulehnen gedachte,
nahmen seine grandiosen Fehlentscheidungen gera-
dezu historisch fatale Ausmaße an.
Schon die Bestimmung seiner Heimatstadt zum
Sitz der Casa war ein kapitaler Mißgriff. Das landeinwärts gelegene Sevilla war in jeder Hinsicht mit der Abwicklung des Schiffsverkehrs überfordert,
den die Entwicklung eines so großen Kontinents mit sich brachte. Die meisten schweren Galeonen muß-
ten bei den Sandbänken der Flußmündung des Gua-
dalquivir vor Anker gehen. Dort schaffte man die
Ladung auf riesige Flöße, die dann in endlosen Konvois flußaufwärts zogen, wobei man Unmengen Wa-
re, Zeit und Geld verlor.
Obwohl jedes Kind die Absurdität dieser Fehlent-
scheidung hätte erkennen können, ließ sich die Casa sage und schreibe 217 Jahre Zeit, um diesen Unfug zu korrigieren und ihren Sitz in den benachbarten und perfekten Naturhafen Cádiz zu verlegen.
Der zweite und wahrscheinlich noch schlimmere
Irrtum des Kanonikers Fonseca war sein frommer
Glaube, unter den Legionen von Gesandten, Rich-
tern, Ratgebern, Inspektoren und Unterinspektoren, die im Laufe der Zeit den unübersichtlichen Verwal-tungsapparat der Casa aufblähten, würde es niemals einen korrupten Beamten geben. Dabei hatte doch
die Geschichte schon gelehrt, daß man in Wahrheit unter den Tausenden, die unter Freunden und Verwandten ausgewählt worden waren, wohl schwerlich
eine einzige absolut ehrliche Haut finden konnte.
Die logische Folge war, daß nur wenige Jahre spä-
ter ein Kolonist in Peru, Mexiko oder Santo Domin-go, der einen Antrag auf Gründung einer Zucker-
mühle oder Betreiben einer Silbermine stellte, sechs bis zehn Jahre lang warten mußte, bis man ihm die entsprechende Genehmigung erteilte und das erfor-derliche Werkzeug zur Verfügung stellte.
Da man, um besagte Genehmigung zu erhalten,
vorher unzählige Leute schmieren, außerdem das
Werkzeug im voraus bestellen und in Gold aufwie-
gen mußte, ist leicht zu verstehen, warum die Träu-me der meisten
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