Insel der Nyx: Insel der Nyx, Die Prophezeiung der Götter
Wellenbrecher ins Meer gebaut war. Ein Kai führte daran entlang, an dem bunte Fischerboote im Wasser schaukelten. Doch am schönsten fand Eleni die Tamarisken. Sie liebte die kleinen Bäume, deren Zweige so aussahen wie lange grüne Federn. Sie boten einen angenehmen Schatten, und wenn sie so wie hier am Strand standen, konnte man den ganzen Sommer darunter verbringen. Offenbar fanden das auch die Menschen, die hier wohnten, denn die Tamarisken säumten den gesamten Strand, bildeten an manchen Stellen kleine schattige Gruppen und neigten sich über die Terrasse einer Taverne.
Arjana deutete aus dem Fenster. »Darf ich vorstellen: Agia Vasiliki. Unser neues Zuhause.«
»Gibt es hier auch Leute in unserem Alter?« Leándras Begeisterung schien bereits nachzulassen. »Oder sitzen hier nur alte Fischer bei einem Gläschen Ouzo zusammen.«
Arjana lachte. »Keine Sorge. Es gibt ein paar nette Jugendlichein eurem Alter.« Sie lächelte Leándra zu. »Und die werden sich bestimmt freuen, dass ihr jetzt da seid und ihnen Gesellschaft leistet. Soweit ich das bislang mitbekommen habe, sind auch ein paar hübsche Jungs dabei!«
Leándra warf ihrer Mutter einen bösen Blick zu. Den letzten hübschen Jungen, in den sie sich verliebt hatte, hatten sie in Berlin zurückgelassen. Aber davon wusste ihre Mutter nichts, nur Eleni hatte sie irgendwann von ihrem Schwarm erzählt.
Eleni musste ihre Schwester ablenken, bevor sie länger über dieses Thema nachdachte. »Welches ist denn unser Haus?« Sie zeigte auf die erste Reihe der Häuser. Sie lagen nur knapp oberhalb des Strandes und besaßen Terrassen, von denen man aufs Meer blicken konnte. »Eines von denen würde mir gefallen.«
Arjana schüttelte lachend den Kopf. »Nicht ganz.« Sie deutete mit dem Arm aufwärts, aus dem Dorf hinaus, bis zu einer Hochebene, die sich oberhalb der Häuser anschloss. Eleni betrachtete die Ebene, die in das Meer hineinragte und in steilen Klippen über dem Wasser abfiel. Ganz vorne auf der Landspitze stand ein einzelnes Haus und blickte über den Rand der Klippen auf das Meer hinaus.
»Das da?« Leándra pfiff durch die Zähne und ihr Ärger schien tatsächlich zu verfliegen.
Aber Eleni fühlte sich seltsam. Ein eigenartiger Schwindel zog durch ihren Kopf und die Haut an ihrem Hinterkopf kribbelte. Dort oben auf der Hochebene befand sich das, weshalb sie hier waren: ein Rechteck im Bewuchs der Pflanzen, ein verschütteter Tempel, den ihre Mutter ausgraben wollte. Doch nicht nur das bereitete ihr Unbehagen. Auch das Profildes Berges erschien ihr sonderbar. Nur der Teil, der neben dem Dorf ins Meer hineinragte, war oben zu einer Ebene abgeflacht. Dahinter, zum Landesinneren hin, erhob sich ein steiler Berg. Wenn man es von hier aus betrachtete, ragte der Felssporn ins Wasser wie eine lange Nase und der Berg erhob sich dahinter wie die Stirn eines Menschen. Alles in allem sah es aus wie ein riesiger Menschenkopf, der auf das Meer hinausschaute.
Das Haus, in dem sie von nun an leben würden, war etwas Besonderes. Nicht nur die Wände bestanden aus offenen Bruchsteinen – auch die Möbel waren zum Teil aus Steinen gemauert: die Regale und Schränke, die säulenförmigen Beine unter dem hölzernen Küchentisch, selbst die Badewanne war in Stein eingelassen. Aber am besten waren die gemauerten Felsnischen in den Schlafzimmern, in denen sich die Betten versteckten.
Vor allem das Zimmer, in dem Leándra mit Eleni einzog, sah aus wie eine Höhlenformation. Ihre Mutter hatte jedem von ihnen ein eigenes Zimmer angeboten. Aber Leándra wollte es nicht. Sie hatte immer mit Eleni in einem Zimmer geschlafen und auch hier in ihrem neuen Zuhause wollte sie ihre kleine Schwester auf keinen Fall allein lassen. Jemand musste bei ihr sein, wenn sie schlafwandelte, um sie zu beschützen, und um das aufzuschnappen, wovon sie redete.
Fast den ganzen restlichen Tag verbrachten sie damit, ihre Sachen einzuräumen und ihr Zimmer mit ein paar Bildern an der Wand wohnlich zu machen.
Als sie schließlich ins Bett gingen, fühlte Leándra sich eigentlich schon ganz wohl. Aber das änderte nichts daran, dasssie ihr altes Zuhause vermisste, vor allem die Menschen, die sie in Berlin zurückgelassen hatte.
Stundenlang drehte sie sich in ihrem Felsenbett hin und her und bemühte sich einzuschlafen. Aber ihre Gedanken waren zu aufgewühlt. Noch heute Morgen waren sie in Berlin gewesen, gestern hatte sie die letzten Worte mit Jonas aus der Parallelklasse gewechselt. Er hatte
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