Insel des Sturms
Cottages. Sie stellte den bisher unberührten Tee auf einen Tisch und zog ganz mechanisch ihre Schuhe aus. Es gab einfach keine Geister. Dies hier war nichts weiter als ein hübsches kleines Haus auf einem hübschen kleinen Hügel. Über dem es augenblicklich in Strömen goss.
Bäuchlings fiel sie auf das Bett, dachte daran, sich die Decke überzuziehen, und sank, ehe sie es fertig brachte, in einen tiefen Schlaf.
Und als sie träumte, träumte sie von einer Schlacht auf einem grünen Hügel, wo das Licht der Sonne die Schwerter wie Juwelen blitzen ließ, von Feen, die im Wald tanzten, während das Mondlicht Tränen auf die Blätter der hohen Bäume schickte, und von einem dunkelblauen Meer, dessen Wogen im Rhythmus ihres Herzens an das Ufer schlugen.
Und durch all die Träume zog sich beständig das leise Weinen einer Frau.
2
Als Jude schließlich erwachte, war es bereits dunkel, und die Reste des Torffeuers glühten wie winzige Rubine in dem ebenfalls winzigen Kamin. Sie starrte sie mit vom Schlaf geschwollenen Augen an, und ihr Herz pochte gegen ihre Rippen, als sie die Glut versehentlich für ein Paar sie anblitzender Augen hielt.
Dann kehrte die Erinnerung zurück, und sie dachte wieder klar. Sie war in Irland, in dem Cottage, in dem ihre Großmutter als Mädchen gewohnt hatte. Und ihr war hundekalt.
Sie setzte sich auf, rieb sich die kalten Arme und tastete nach der Nachttischlampe. Bei dem Blick auf ihre Uhr blinzelte sie erschrocken. Es war beinahe Mitternacht. Ihr kurzes Nickerchen hatte an die zwölf Stunden gedauert.
Und abgesehen davon, dass sie fror, hatte sie einen Bärenhunger.
Einen Augenblick lang blickte sie grübelnd hinüber zum Kamin. Da das Feuer so gut wie erloschen schien und sie keine Ahnung hatte, wie man es wieder in Gang brachte, begab sie sich auf die Jagd nach etwas Essbarem in die Küche.
Um sie herum ächzte und knarzte es – heimelig, sagte sie zu sich, obgleich sie am liebsten zur Kontrolle über ihre Schulter geblickt hätte. Mitnichten dachte sie etwa an Brennas Geist, sondern war lediglich derartige Hausgeräusche nicht gewohnt. Die Böden in ihrem Apartment knarzten nicht, und das einzige rote Leuchten, das sie dort je sah, war das Sicherheitslämpchen der Alarmanlage.
Aber bestimmt gewöhnte sie sich bald an die neue Umgebung.
Brenna hatte sie tatsächlich hervorragend versorgt. Sowohl der winzige Kühlschrank als auch die schmale kleine
Speisekammer waren gut bestückt. Sie mochte weiter frieren, aber verhungern würde sie definitiv nicht.
Ihr erster Gedanke war, eine Dose Suppe aufzumachen und sie in den Mikrowellenherd zu stellen, und so drehte sie sich, die Dose in der Hand, suchend auf dem Absatz um – dabei machte sie eine furchtbare Entdeckung.
Es gab keinen Mikrowellenherd.
Tja, dachte Jude, das ist wirklich ein Problem. Also müsste sie anscheinend ernsthaft mit einem Topf und einem gewöhnlichen Herd vorlieb nehmen; doch noch während sie sich an den Gedanken zu gewöhnen suchte, traf sie der nächste Schrecken. Es gab tatsächlich keinen automatischen Dosenöffner hier in diesem Haus!
Anscheinend hatte die alte Maude nicht nur in einem völlig fremden Land, sondern obendrein in einem gänzlich anderen Zeitalter gelebt.
Irgendwie kam sie mit dem mechanischen Öffner, den sie zuletzt fand, zurecht und schüttete die Suppe in einen Topf. Dann wählte sie einen Apfel aus dem Obstkorb, ging quer durch die Küche, öffnte die Hintertür und blickte in den seidig weichen, regennassen Nebel, der durch den Garten wirbelte.
Sie sah nichts außer der Luft, die sich wie zarte nächtliche Schleier bewegten. Es gab keine Formen, nicht das geringste Licht, nur die durchscheinenden Schwaden, zu denen der Nebel sich hin und wieder formte. Zitternd trat sie einen Schritt nach vorn und war sofort in einen feuchten Umhang gehüllt.
Das Gefühl von Alleinsein, das sie spontan erfüllte, war tiefer als alles, was sie je zuvor erlebt hatte. Aber es stimmte sie weder ängstlich noch traurig, stellte sie verwundert fest, als sie einen ihrer Arme ausstreckte und beobachtete, wie der Nebel ihre Hand verschlang. Eher fühlte sie sich eigenartig befreit.
Sie kannte niemanden, und niemand kannte sie. Es wurde nichts von ihr erwartet, außer die eigenen Wünsche zu berücksichtigen. Während dieser Nacht, während dieser einmaligen wunderbaren Nacht, war sie vollkommen allein.
Plötzlich vernahm sie ein leises Pulsieren, ein kaum hörbares Klopfen. War das vielleicht
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