Inselwaechter
also ich meine, er hat davon geredet. Die Schwarze war mir ganz sympathisch und scheint noch die Vernünftigste zu sein. Und diese Schirr … also ich nehme diese Claire Wilms. Bleibt für dich der Grohm und die Schirr mit ihren verrückten Haaren. Ist nur zu hoffen, dass sie morgen nicht auch unter Drogen steht, so wie heute. Ich frage mich, was die wohl arbeitet bei denen?«
Schielin war einverstanden und meinte: »Diese kleine Französin, diese Claire, die nehmen wir zuerst dran. Die anderen zwei lassen wir ein wenig warten. Das regt die Gedanken an.«
Am Segelhafen stiegen sie aus und sahen Wenzel am Auto lehnen. Er verpackte gerade den Spurensicherungskoffer. Zwei Kollegen der Wasserschutzpolizei standen dabei und sahen interessiert zu, denn so oft hatten sie mit Kriminaltechnik auch nicht zu tun. Anscheinend hatte Wenzel an der aufgetriebenen Motorjacht gearbeitet.
Lydia klatschte die Autotür laut zu und sprach laut übers Dach hinweg: »Denen muss doch klar sein, dass wir sie als Verdächtige behandeln müssen. Sie sind die Einzigen, die mit Agnes Mahler in Verbindung standen, sie befanden sich alle drei in nächster Nähe zum Tatort – nur drei, vier Minuten zu Fuß entfernt – und es gibt ein Motiv: Agnes Mahler wollte raus, und Geld wollte sie sicher noch dafür. Im Grunde genommen wunderbare Voraussetzungen für eine Mordermittlung. Wie im Bilderbuch. Und Kohle, das sage ich dir, Kohle spielt hier eine gewaltige Rolle. Was meinst du, was die Suite da oben kostet? Schlecht kann es den Herrschaften nicht gehen.«
Schielin ächzte. »Das ist ja das Problem.«
Sie gingen zu Wenzel.
Später, wieder auf der Dienststelle, gehörte das Telefon zum ersten Ermittlungsinstrument. Schielin hatte einen Freund aus alten Tagen bei der Münchner Kriminalpolizei erreichen können, der einige diffizile Aufgaben für sie übernahm. Es ging darum, Informationen über die Kanzlei Grohm & Sebald zu erhalten, sowie Näheres über Agnes Mahler in Erfahrung zu bringen. Kimmel hatte die Adresse der Eltern herausgefunden und es war an den Münchner Kollegen, ihnen die Nachricht zu überbringen. So war das an Samstagabenden eben.
Erich Gommert hatte den Auftrag erhalten, auf die Insel zu fahren und die Ladungen für die Vernehmung am nächsten Vormittag zu übergeben. Grohm nahm die kurzfristige Einbestellung regungslos zur Kenntnis. Machte es Sinn, sich mit den beiden anderen auszutauschen? Er lehnte am Fenster, sah hinaus in die Dämmerung und spürte Kraftlosigkeit. Würde er noch einmal hierher zurückkehren können, an diesen wunderbaren Ort? Die Aufenthalte hier am Wasser waren wie tropische Inseln im Meer der Zwänge, Termine, Besprechungen und Formalismen. All das wurde einem abverlangt, weil man es so wollte. Und wozu das alles? Er nahm die Flasche Burgunder, die er sich aufs Zimmer hatte bringen lassen und goss rüde ein. Matt sank er in den Sessel und nahm einen großen Schluck, den er lange im Mund behielt. Er sah auf den Jahrgang. Ein Fünfundneunziger. Fünfundneunzig! Ja, damals, da war seine Welt noch in Ordnung gewesen. Er trank den Wein und jeder Schluck führte ihn weiter zurück in seinen Erinnerungen. Wenn sowohl Wein wie auch derjenige, der ihn genoss, das richtige Alter hatten, dann war der rote Saft ein geeigneter Katalysator für kontrollierte Sentimentalität. Grohm führte der 95er Vosnay tief hinab, in das Dunkel seiner Seele und zu den Schatten, die auf seiner Vergangenheit lagen. Sebald hätte ihn ausgelacht, wenn er ihn so gesehen hätte. Zweifel! Zweifel ist Feind der Erfolgreichen, hatte der immer gesagt. Grohm hatte sein väterliches Lächeln aufgesetzt, wie es ihm vor dem Spiegel immer so sympathisch erschienen war, und hatte mit einem Aphorismus geantwortet. So was musste man draufhaben in seinem Job, genauso wie Bibelsprüche und Zitate. Grohm schenkte den letzten Tropfen der Flasche in das Glas.
Zweifel? Wieso zweifelte er an sich? Schließlich war es so, dass Sebald seit zwei Jahren ersoffen am Grund des Starnberger Sees lag und seine Nichte auf dem Weg in eine Kühlkammer war. Nur er, Grohm, saß hier im Sessel und genoss einen 95er Burgunder. Er war schließlich wer – Dr. Helmut Grohm hatte einen unbescholtenen Namen, einen in Fachkreisen zementierten Ruf und – fast noch wichtiger – er kannte Leute, viele Leute. An einen wie ihn traute man sich nicht so leicht heran.
Inselwächter
See und Berge, Türme, Mauern und Häuser – sie waren unberührt geblieben, von dem, was an
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