Inselwaechter
über eine belanglose Sache war der Auslöser gewesen. Er erinnerte sich genau daran. Die schnell giftig gewordene Auseinandersetzung ging darum, welche Auswirkungen die Einführung des systematischen Zweifels für das Wissenssystem hatte, so, wie es von René Descartes zur Methode erhoben worden war. Er fühlte sich persönlich angegriffen, denn er fühlte sehr wohl, dass die Argumentation des Schülers ihn quasi als prä-aufklärerischen Pedanten hinstellte. Zu jener Zeit hätte er niemals ein Thema behandeln dürfen, in welchem der Zweifel als etwas Positives erscheinen konnte.
Der Schüler, kein dummer Kerl, parierte seine das Thema abschließend gedachten Äußerungen derart eloquent, dass sich Gekicher breitmachte im Klassenraum – hämisches Gekicher. Er – Dr. Zychner – wurde ausgelacht. Er war voller Wut vor den Schüler hingetreten und hatte sich über dessen Vornamen mokiert – Adolf. Und da war es passiert, nicht völlig unerwartet und dennoch überraschend, undenkbar. Der ausgewachsene Kerl von siebzehn Jahren war aufgesprungen, hatte ihn am Kragen gepackt, mit einem einzigen Ruck äußerster Kraft an sich herangezogen und sogleich mit einer Miene von Zorn und Willen nach hinten gestoßen. Eine solche körperliche Aggression war ihm bis dahin noch niemals widerfahren. Nur die Schulbänke hinter ihm, in die er taumelte, hatten verhindert, dass er zu Boden gegangen war. Lähmende Stille. Entsetzen bei allen. Nur nicht bei demjenigen, der ihm gegenüberstand und ihn mit stolzem Blick ansah.
Er hatte das Klassenzimmer daraufhin verlassen und dem Direktor gemeldet, dass er von einem Schüler angegriffen worden war. Das war alles gewesen. Schon am nächsten Tag war der Kerl nicht mehr an der Schule. Später hatte es ihm leidgetan, denn es hätte etwas aus ihm werden können.
Das bald darauf einsetzende Drängen des Direktors, doch die Möglichkeiten des Vorruhestandes zu nutzen, hatte er geflissentlich überhört. Er hielt den Kerl eh für einen gewissenlosen Karrieristen.
*
Schielin hatte gut geschlafen in der Nacht und war mit den ersten Sonnenstrahlen aufgewacht. Bevor er duschte, schmiss er sich eine Handvoll Wasser ins Gesicht, schlüpfte in die Weideklamotten und ging mit dem Eimer hinüber zur Weide. Ronsard war sofort am Zaun. Der gelbe Eimer war ihm wohlbekannt; vor allem, was sich darin an feinen Körnern befand. Doch diesmal wurden zuerst die Kaltblüter bedient, was den Esel erboste. Schielin musste handgreiflich werden, um den bockigen Kerl zu vertreiben, der, aufgebracht schnaubend, mit gesenktem Kopf und angelegten Ohren, immer wieder sein Hinterteil in Richtung Eimer schob und ausschlug. Dies alles mit einer Kraft, Dynamik und Beweglichkeit, die ihm manches Mal abging, wenn Wanderungen zu bewältigen waren.
Beleidigt hatte er nach seiner Vertreibung unter dem Birnbaum Position bezogen. Gäste – gleich Mensch oder Tier – waren ihm nicht willkommen. Spätestens seit den Eseltouren, die die Töchter mit ihm veranstaltet hatten, musste das doch auch Schielin klar geworden sein.
Obwohl der Tag so sommerherrlich begann, fand Schielin auf seiner Strecke die Straßen vereinsamt vor. In der Dienststelle berichtete ihm Wenzel, dass in der Friedrichshafener Straße mehr Betrieb geherrscht habe. Die Berge schienen an diesem Sonntag ein begehrteres Ziel zu sein als der See.
Kimmel konnte heute nicht kommen. Es gab wenig, was ihn vom Dienst fernhielt. Doch heute hatte er Enkelsonntag – und der war ihm heilig. Erich Gommert war auch zu Hause geblieben, weil er aushilfsweise als Mesner in Aeschach einspringen musste. Wenzel, Lydia und Schielin witzelten, wie es dabei wohl zugehen mochte. Wenzel kochte Kaffee und berichtete von der gestern aufgebrachten Motorjacht. Sie war in Langenargen gemeldet und für einen Übernachtungsplatz von Freitag auf Samstag bei der Lindauer Hafenmeisterei eingetragen. Besitzer war ein Bauunternehmer aus Ravensburg, den man telefonisch erreicht hatte, bevor die Absuche mit dem Hubschrauber erfolgt war. Am Telefon hatte er den Kollegen der Wasserschutzpolizei wenig Aufschlussreiches berichten können und hinsichtlich der Nachfragen war sein Verhalten äußerst spröde gewesen. Sie waren sich einig, dass man ihn würde vorladen müssen.
Wenzel wedelte mit einem Plastikbeutelchen herum, in dem sich der Einhunderteuroschein befand. Weder Lydia Naber noch Conrad Schielin fiel etwas auf Wenzels Frage ein, was ihnen an dem Schein auffalle. Er sah echt genug
Weitere Kostenlose Bücher