Inshallah - Worte im Sand - Roman
Bottich Wasser herauf. Ich hörte die Stimmen im Haus. Die unterschiedlichen Tonlagen meiner Brüder. Malehkahs müde, leise Stimme, mit der sie ihre Kinder zu beruhigen versuchte.
Ich füllte den Eimer und trug das Wasser hinein. Während es auf dem Herd erhitzte, sorgte ich dafür, dass Habib und Khalid schlafen gingen. Dann musste ich abwaschen und fegen. Als ich in die Küche zurückkehrte, um die Töpfe zu schrubben, stand Malehkah auf schwankenden Beinen da.
»Bitte leg dich wieder hin, Mada!« Ich eilte zu ihr, nahm sie beim Arm und bettete sie wieder auf den Fußboden.
»Ich dachte, es würde helfen. Mir ist so schwindelig. Mein Kopf tut weh.«
Ich legte ihr ein feuchtes Tuch auf die Stirn. »Du hast schon geholfen, Malehkah«, sagte ich. »Mehr als du ahnst.«
Das Abwaschen, Abtrocknen und Wegstellen des Geschirrs dauerte einige Zeit. Als ich fertig war, sah ich nach den Kindern. Malehkah war eingeschlafen. Ich setzte mich gegen eine Wand.
Ich blieb die ganze, lange Nacht bei ihr in der Küche.
Als das kaputte Scharnier der Haustür quietschte, schrak ich aus dem Schlaf. Ich stand auf und sah aus dem kleinen Küchenfenster. Der dunkle Himmel verriet erste Anzeichen des Morgengrauens. Der Muadhin würde die Gläubigen bald zum Gebet rufen. Ich sah zu Malehkah. »Bleib hier.«
Als ich nachschauen wollte, wer gekommen war, ging schon die Küchentür auf. Baba stand auf der Schwelle, Najib dicht hinter ihm. Mein Vater rieb die Fingerknöchel am unrasierten Kinn. Er sah Malehkah und mich lange an.
Najib drückte sanft seinen Ellbogen. »Na, los, Babajan. Du schaffst es. So, wie wir es besprochen haben.«
Baba nickte. »Ich …« Er schluckte und fuhr sich mit der Zunge über die Lippen. »Ich habe über alles nachgedacht. Die ganze Nacht.« Er rieb sein Gesicht. »Bitte vergib mir, Malehkah. Ich hätte dich nicht so heftig schlagen dürfen.« Er verstummte kurz, dann fuhr er fort: »Deine Mutter, Zulaikha. Du kannst dich sicher nicht erinnern, weil du damals zu jung warst, aber deine Mutter hat ihre Bücher geliebt. Sie hat sich immer mit den altenafghanischen Dichtern beschäftigt.« Ein leises Beben durchlief meinen Vater und er biss auf seine Unterlippe, während er seine zitternde Stimme zu beruhigen versuchte. »Man … Man hat sie wegen dieser Bücher ermordet.«
»Aber die Taliban …«
Mein Vater hob eine Hand. Malehkah zog an meinem Rock.
»Sie haben sie ermordet. Sie hätten mich töten sollen. Oder ich hätte sie aufhalten müssen.« Eine Träne rollte über die Wange meines Vaters. Er versuchte nicht, sie zu verbergen. »Ich … Ich habe darüber nachgedacht. Über die Schule, von der du erzählt hast.« Er zuckte mit den Schultern. »Angeblich verdienen die Gebildeten das meiste Geld. Aber was weiß ich davon?« Er beschrieb mit den Fingern einen Kreis vor seinem Gesicht, als würden ihm die Worte für das fehlen, was er noch zu sagen hatte. Als würde er um Atem ringen. »Wir leben in einem neuen Afghanistan. Ich bin nur ein ungebildeter Schweißer. Ich bin nur …«
»Ich will nicht nach Herat«, unterbrach ich ihn. Das war mir bewusst geworden, während ich mich am Abend zuvor um Malehkah, die Jungen und das Baby gekümmert hatte. Mein Vater runzelte die Stirn, aber ich fuhr fort: »Ich liebe meine Familie zu sehr. Ich kann sie nicht im Stich lassen. Ich werde hier gebraucht.«
»Zulaikha«, sagte Malehkah.
Baba starrte mich an. »Gestern Abend hast du gesagt …«
»Ich will nicht nach Herat, Baba-jan.« Am Tag zuvor hätte ich das noch nicht sagen können. »Ich möchte zwar etwas lernen und würde gern zur Schule gehen,aber meine Familie braucht mich. Die Kinder sind klein und Mada ist überarbeitet. Ich kann sie nicht im Stich lassen.« Ich holte tief Luft. »Deshalb würde ich gern hier in An Daral zur Schule gehen. In die Schule, die ihr baut. Wie ich höre, hat man eine sehr gute Lehrerin eingestellt.«
Ich wartete mit angehaltenem Atem, aufgeregt und verängstigt zugleich, auf die Antwort meines Vaters. Aber ich wandte den Blick nicht von ihm ab.
Er stand kerzengerade da, die Arme leicht abgespreizt, als wollte er sich so groß wie möglich machen. Er sah mich mit einem harten Blick an, aber ich merkte, wie sein Unterkiefer bebte. Dann entspannte er sich langsam und auf seinem Gesicht breitete sich ein Lächeln aus. »Du bist ein gutes Mädchen, Zulaikha. Du ähnelst deiner Mutter mehr, als du je ahnen wirst. Ich würde mich geehrt fühlen, wenn du die Schule besuchst,
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