Inshallah - Worte im Sand - Roman
die mir die Amerikaner geschenkt hatten. Danach bog ich in die Straße ein, in der Meena wohnte.
Ich war schon ein gutes Stück gelaufen, als Anwar und Salman aus einer Gasse zwischen den Grundstücken auftauchten. Sie schubsten sich lachend herum, doch bei meinem Anblick verflog Anwars Lächeln und er gebot seinem Cousin mit erhobenem Arm Einhalt. Ich ballte die Fäuste und mein Magen schien sich umzudrehen.
»Schau mal, Anwar«, sagte Salman. »Da ist Zulaikha mit ihrem schönen neuen Mund.«
Ich machte auf der Stelle kehrt, aber Anwar lief los und versperrte mir den Weg. Ich konnte nicht zum Basar und auch nicht nach Hause. Meine Beine zitterten fast so sehr wie an dem Vormittag, als Anwar und seine Bande mich auf der Straße am Fluss in die Ecke gedrängt hatten.
»Puh! Sieh dir mal die Narbe an. Lass dich nicht täuschen. Sie ist immer noch das alte Eselgesicht.« Anwar hielt sich zwei Finger unter die Nase, um nachzuahmen, wie schief meine Zähne früher gewesen waren.
Gewesen waren. Denn ich sah nicht mehr aus wie früher. Ich fühlte mich nicht mehr wie früher. Konnten sie sich nicht ein paar neue Gemeinheiten ausdenken? Warum hielten sie ihre Sprüche immer noch für witzig? Ich stand einfach da und sah zu, wie die Jungen über mich lachten. Sollten sie tun, was sie wollten. Mir war es gleichgültig.
»Iiiiiiih! Aaaaaah!«, schrie Salman. Anwar schlug seinen Cousin auf den Rücken und lachte.
Immer die gleichen Witze und Beleidigungen, die keine Grundlage mehr hatten. Anwar runzelte die Stirn, als würde er spüren, dass sich außer meinem Mund noch etwas verändert hatte, seit sie mich das letzte Mal verhöhnt hatten. Er holte aus und sprang mit geballter Faust auf mich zu, als wollte er mich schlagen. Ich zuckte zusammen.
Aber er schlug mich nicht, sondern blieb einen halben Meter vor mir stehen. Er grinste erst Salman an, dann mich. »War nur eine Probe«, sagte er.
Genau wie damals auf der Straße am Fluss. Er hatte mich nicht wirklich mit Steinen beworfen, sondern kurzdavor innegehalten. Der Unterschied bestand nur darin, dass mich seine gemeinen Beschimpfungen damals verletzt hatten, weil ich tatsächlich schrecklich ausgesehen hatte. Inzwischen sah ich besser aus, aber die Worte waren immer noch gemein.
»Mein Aussehen ändert nichts«, sagte ich. »Nichts ändert etwas.«
»Was quatscht du da, Eselgesicht?«, rief Salman.
»Es macht keinen Unterschied. Aber im Gegensatz zu früher machen mir eure Beschimpfungen und Drohungen nichts mehr aus.«
Meena hatte recht gehabt, was die Macht der Worte betraf, jedenfalls in einer Hinsicht: Ich musste die Worte der Jungen an mir abprallen lassen, denn sie würden mich immer verhöhnen, egal, was war.
»Khudafiz, Anwar.« Ich wich Salman und Anwar aus und lief weiter in Richtung Meenas Laden.
»Warte!«, rief Anwar, der wieder losrannte und mir den Weg abschnitt. »Ich habe dir nicht erlaubt zu gehen!«
Ich tat so, als wollte ich ihn links umgehen, und eilte dann rechts an ihm vorbei. »Ich habe mir selbst die Erlaubnis erteilt.«
»Was soll das, Eselgesicht?«, fragte Salman.
Ich ging schweigend weiter.
Anwar holte mich ein. »Ich kann deine Narbe sehen, Zulaikha. Du bist immer noch hässlich«, sagte er. »Die Narbe wird für immer bleiben.«
Unter anderen Umständen hätte ich vielleicht gelächelt. Ich hatte immer Angst vor diesen Jungen gehabt, aber sie waren machtlos. Sie beschimpften mich, doch sie konnten mir nichts tun. Ich ging einfach an ihnen vorbei.
»Pah! Wer interessiert sich schon für das hässliche, alte Eselgesicht?«, spottete Anwar schließlich.
Ich zwang mich, nicht zurückzusehen. Aber als ich Meenas Laden erreichte, drehte ich mich doch um. Die Straße war leer. Anwar und Salman waren weg.
Meena bat mich wie immer herzlich herein. Sie setzte Tee auf und wir nahmen die gewohnten Plätze ein. Dann ging sie die Seiten durch, die ich abgeschrieben hatte. »Gut.« Sie blätterte weiter. »Sehr gut.« Sie schien zu merken, dass ich mich nicht über ihr Lob freuen konnte, denn sie sah von meinen Übungen auf. »Und wie geht es dir , mein Kind?«
»Ich …« Meine Kehle war wieder wie zugeschnürt. »Ich muss unaufhörlich an Zeynab denken.«
»Das ist auch gut so, Zulaikha.« Muallem sprach sehr leise.
»Sie war so schön und …« Ich biss auf die Unterlippe. »Ich dachte immer, wenn ich nur ein kleines bisschen von der Schönheit meiner Schwester hätte, könnte ich …« Mir kamen die Tränen. »Ich vermisse sie. Es
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