Inshallah - Worte im Sand - Roman
tut schrecklich weh.«
Meena stand auf und holte den Tee. Sie stellte eine Tasse neben mir auf den Tisch und schenkte ein. »Jeder Sieg entspringt der Geduld; sie ist das Zeichen für Gottes Huld.«
»Welche Huld?« Ich wischte meine Nase mit dem Tschador ab. Meena schenkte sich selbst eine Tasse ein und setzte sich dann. Sie sah schweigend durch den Dampf, der von ihrem Tee aufstieg. »Meinen Sie die Schule? In Herat?«
»Das habe ich nicht gesagt, mein Kind. Das musst du selbst entscheiden, falls Allah das Verlangen in deinHerz gepflanzt hat.« Sie hielt ihre Tasse mit beiden Händen im Schoß. »Ich werde dir helfen, egal, wie es kommt. Aber ich kann dir die Entscheidung nicht abnehmen.«
»Langsam verstehe ich die Gedichte besser, die ich abschreiben sollte«, sagte ich. »Ich habe hinten in meinem Notizbuch einen Brief begonnen … an Zeynab und meine Mada-jan.« Ich wischte mir Tränen von den Wangen. »Sie können ihn gern lesen, wenn Sie …«
»Oh, nein.« Meena lehnte sich auf ihrem Bett zurück. »Nein, das sind heilige Wörter zwischen dir, deiner Mutter und deiner Schwester.« Sie lehnte den Kopf gegen die Wand und schloss die Augen. »Du lernst immer mehr. Du bist eine sehr gute Schülerin.«
»Nur die Gedichte schenken mir inneren Frieden. Gedichte und Gebete. Sie trösten mich.« Ich verstummte und wartete darauf, dass Meena etwas sagte, aber sie nickte nur mit geschlossenen Augen. »Ich kann nicht nach Herat«, sagte ich. »Das würde Baba nie erlauben.«
Meena schwieg. Schließlich hob sie die Brauen, ohne die Augen zu öffnen, und fragte: »Meinst du wirklich, mein Kind? Hast du ihn gefragt?«
»Ich traue mich nicht«, antwortete ich mit gesenktem Blick. »Seit Zeynabs Tod ist er … nicht mehr der Alte. Er würde toben, wenn er wüsste, dass ich mich immer wieder zu Ihnen geschlichen habe. Und …« Ich seufzte. »Ich fürchte, dass er mir dann verbietet, weiter zu lernen.« Jetzt war meine Lehrerin so still, dass ich mich fragte, ob sie eingeschlafen war. »Außerdem entspringt jeder Sieg der Geduld, oder nicht?«
Muallem schlug die Augen auf. Sie war auf einmal wacher als je zuvor. »Du warst lange genug geduldig.« Sie zeigte auf sich, dann auf mich, dann wieder auf sich.»Ich finde, wir alle haben lange genug Geduld gezeigt.« Sie beugte sich zu mir. »Vielleicht ist diese schicksalhafte Gelegenheit, zur Schule zu gehen, genau das, worauf du so geduldig gewartet hast.«
»Das läuft nicht davon.«
Muallem nickte. »Richtig. Aber je älter wir werden und je mehr Verantwortung wir tragen, desto rascher verfliegen die Gelegenheiten, die uns das Leben bietet.«
Ich holte tief Luft und blies in den Dampf, der von meiner Tasse aufstieg. »Dann muss ich es jetzt tun?«
»Natürlich nicht, mein Kind. Aber wenn du die Entscheidung aufschiebst, könnte es noch schwieriger werden. Das Lernen und der Versuch, deinen Vater zu überzeugen, sind ja schon jetzt heikel genug.«
»Aber es wäre die Sache wert«, sagte ich sowohl zu Meena als auch zu mir selbst.
Wir begannen zu arbeiten, als hätten wir stillschweigend eine Übereinkunft getroffen, diskutierten über bereits gelesene Gedichte und übten neue Wörter. Als ich aufbrechen musste, gab mir meine Muallem ein Gedicht zum Abschreiben mit. Ich nahm die Tüte mit den Zwiebeln, die ich auf dem Basar gekauft hatte, und wollte den Laden verlassen, doch etwas hielt mich zurück.
»Muallem?«, fragte ich, als ich in der Tür stand. »Beten Sie?«
Sie sah zu mir auf. »Aber natürlich, mein Kind. Manchmal scheint mir, dass ich fast ununterbrochen bete.«
Ich lächelte. »Mögen Sie heute Abend für mich beten?«
Meena deutete eine Verbeugung an. »Bale, Zulaikha.«
An diesem Abend aßen wir sehr spät, weil Baba und Najib nicht gewusst hatten, wie lange sie arbeiten mussten. Als wir alle um den Daster Khan saßen, starrte ich Reis und Naan an. Ich zerknüllte das in meinem Schoß liegende Tuch. Seit der Operation brauchte ich es eigentlich nicht mehr, aber ich fand es irgendwie tröstlich.
»Noch ein paar Wochen, dann sind wir in der Klinik fertig. Heute haben die Amerikaner unsere Fortschritte begutachtet und sie waren sehr beeindruckt.« Baba klang nicht mehr ganz so euphorisch wie früher. »Sie haben mir die dritte Rate meines Gesamtlohns bezahlt, und für den Fall, dass ich vor Monatsende fertig werde, haben sie mir einen Bonus von hunderttausend Afghani zugesagt. Unglaublich, oder?« Baba riss ein Stück Naan mit den Zähnen ab. »Was
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