Inside WikiLeaks
andere, als ich sie hatte. Er hielt diese Leute für Idioten, für »useless«. Er beurteilte Leute oft danach, ob sie einen »Nutzen« brachten, wie auch immer er diesen Nutzen dann definierte. Selbst Hacker, die besondere Fähigkeiten hatten, waren in seinen Augen Idioten, wenn sie diese Fähigkeiten nicht für ein übergeordnetes Ziel einsetzten.
Julians Urteile waren immer kompromisslos, seine Meinungen teilte er auch gerne ungefragt mit. Ich dachte mir schon damals, dass er sicherlich bei vielen Leuten aneckte damit.
Wir hatten vieles zu planen und zu bereden. Ich habe mich nicht gefragt, ob ich Julians Benehmen auffällig fände oder ihm vertrauen könnte. Die Frage, ob ich mit diesem Typen in ernsthafte Probleme hineinschlittern könnte, stellte sich überhaupt nicht. Ganz im Gegenteil. Ich war geschmeichelt, dass er mit mir zusammenarbeiten wollte. Julian Assange war nicht nur der Gründer von WL , er war auch »Mendax«, Mitglied der International Subversives : E r war einer der großen Hacker, Mitautor von »Underground«, einem Buch, das von Kennern sehr geliebt wurde. Und wir verstanden uns auf Anhieb.
Er wollte wenig über mich wissen. Ich glaube, er hat mich respektiert als einen neuen Mitstreiter, der vom ersten Tag an gesagt hat, er will mithelfen, und der dabei geblieben ist. So einfach war das, und es war vermutlich viel mehr, als er von anderen Leuten bis dahin bekommen hatte. Das konnte ich bald selbst beobachten: Mit jeder Veröffentlichung kamen ein paar Freiwillige dazu, die sagten: »Wir wollen WikiLeaks unterstützen.« Doch wenn man ihnen konkrete Aufgaben übertrug, kam von etwa einhundert Freiwilligen vielleicht einer wieder, wenn überhaupt. Manche Aufgaben habe ich den Leuten über hundertmal gegeben und über hundertmal das Gleiche erklärt. Nie kam etwas dabei heraus.
Ich denke, Julian hatte diese Erfahrung schon oft gemacht, und er war deshalb froh, in mir einen Verbündeten gefunden zu haben. WikiLeaks verband uns schnell aufs Engste, denn wir hatten die gleichen Ideale. Wir standen damit auf Augenhöhe, das war jedenfalls mein Gefühl. Auch wenn er WikiLeaks gegründet hatte und mehr Erfahrung hatte als ich.
Der Kampf gegen die Bären
Im Januar 2008, ich war gerade erst bei WikiLeaks eingestiegen, gab es die erste Publikation, an der ich direkt beteiligt war. Jemand hatte einen Wust von Zahlen und Berechnungen, Organigrammen, Workflows und Verträgen in unseren digitalen Postkasten hochgeladen. Wozu sollte das gut sein? Julian und ich brauchten ein paar Tage, bis wir das Material überblickten. Auf Hunderten von Seiten waren der interne Schriftverkehr, Memos und Kalkulationen des Bankhauses Julius Bär abgebildet – einer der größten Privatbanken der Schweiz.
Menschen, die Geld auf Schweizer Banken hinterlegen, tun das, wie jeder weiß, nicht immer nur der guten Alpenluft zuliebe. Aus den Papieren ließ sich nachvollziehen, wie Millionenvermögen vor der Steuerfahndung versteckt wurden. Das war anhand konkreter Fälle erörtert. Es ging dabei um Vermögen zwischen fünf und einhundert Millionen Dollar – pro Kunde. Mit den entgangenen Steuern dieser mehreren Dutzend Großverdiener hätte man unzählige soziale Projekte fördern können.
Die Raffinesse der Bank war frappierend. Ein komplexes System aus Untergesellschaften und Finanztransaktionen stellte sicher, dass das Geld auf den Cayman Islands nicht nur vor Zugriffen gut versteckt war. Die Bank verschleierte die Geldflüsse nicht nur im Interesse ihrer Kunden. Sie füllte sich dabei auch kräftig selbst die Taschen. Die Cleverness der Menschen, die sich das ganze System ausgedacht hatten, beeindruckte mich.
Wir recherchierten weitere Hintergründe, schrieben eine Zusammenfassung und stellten all das eins zu eins ins Internet. Eine Pressemitteilung ging an die Medien. Dann warteten Julian und ich gespannt auf eine Reaktion. Das war am Montag, dem 14. Januar 2008.
Dienstag war bei mir in der Firma Sitzungstag. Staff Meeting. Das bedeutete, mit 15 bis 20 Leuten in einem viel zu engen Sitzungsraum verbrauchte Luft einzuatmen und auf Excel-Sheets zu starren. Der Uhrzeiger im Konferenzraum schien mit Pattex festgeklebt. Ich checkte alle fünf Minuten verstohlen auf meinem Handy, ob etwas über uns auf Google News auftauchte. Ich wusste, dass gewiss etwas passieren würde. Die Frage war nur, wann.
Auch wenn Website-Betreiber normalerweise genau wissen wollen, wer auf ihren Seiten surft und auf welche Buttons er
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