Inside WikiLeaks
klickt – das war technisch bei uns nicht vorgesehen, weil es dem anonymen Ansatz von WikiLeaks widersprochen hätte. So wussten wir nie, ob sich schon jemand das Material angeschaut hatte.
Als mein Vorgesetzter die Sitzung endlich beendete, packte ich meine Sachen und rannte aus der Firma. Auf dem Weg nach Hause kaufte ich im Bioladen um die Ecke Fleisch, Kartoffeln und Blumenkohl. Zurück in meiner Wohnung im Wiesbadener Westend – Souterrain, zwei Zimmer, große Küche und Bad, alles ging von einem dunklen Flur ab – ließ ich die Einkäufe erst einmal auf der Arbeitsplatte in der Küche liegen und startete meine beiden Laptops. Da war sie bereits angekommen: die erste Reaktion im Fall Julius Bär. Die Initialzündung unseres Kampfes gegen die Mächtigen. Die Feuerprobe! Die Mail erreichte uns am 15. Januar 2008, um 20.30 Uhr.
Absender war der Anwalt einer Kanzlei mit Sitz in Kalifornien, die normalerweise Hollywoodstars vertrat. Er forderte uns in herablassendem Ton auf, den Urheber der Dokumente zu benennen und das Material von der Seite zu löschen.
»Heilige Scheiße«, schrieb Julian. »Guck dir die an.«
»Wir werden sie fertigmachen«, tippte ich zurück.
Julian und ich chatteten immer, wir telefonierten nie. Die Sätze, die in der nächsten Stunde zwischen irgendwo auf der Welt und Wiesbaden, zwischen Julian und mir, hin- und herflogen, waren voller Ausrufezeichen und Kraftausdrücke.
Während ich Kartoffeln schälte, Blumenkohl kochte und Schnitzel briet, überlegten wir, wie weiter vorzugehen war. Sorgen, dass etwas Schlimmes passieren könnte, man uns verhaften oder das Material sicherstellen würde, machte ich mir nicht. Wir waren auf Ärger eingestellt.
Offizielle Schreiben von Gerichten oder Behörden klingen immer so, als wären sie einzig dazu verfasst, beim Adressaten größtmögliche Ohnmachts- und Wutgefühle auszulösen. Diesmal blieb abzuwarten, wer den Kürzeren zog. Es war zugleich der erste Test, ob sich das System, das in der Theorie so großartig ausgetüftelt war, in der Praxis bewährte.
Wir baten die Kanzlei um konkretere Angaben. Um welchen Klienten es sich denn handele, fragten wir nach. Wir würden gerne den für diesen Fall geeigneten Anwalt auswählen.
In der Realität waren wir weit davon entfernt, über einen großen Pool an Rechtsanwälten zu verfügen. Genauer gesagt hatten wir Kontakt zu einer einzigen Juristin, die uns ehrenamtlich half. Julie Turner lebte in Texas, und es verstrichen ein paar bange Tage, bis wir sie erreicht hatten. Wir gaben uns nach außen trotzdem den Anschein, über eine riesige Rechtsabteilung zu verfügen.
Für diesen Fall habe ich mir auch den Namen Daniel »Schmitt« zugelegt. Das war nicht sonderlich phantasievoll, so hieß meine Katze. Der Name sollte Privatdetektive fernhalten. Wir hatten von anderen gehört, dass große Bankhäuser nicht davor zurückschreckten, auf unbequeme Leute eine Privatdetektei anzusetzen. Ich hatte überhaupt keine Lust, mir hinterherschnüffeln zu lassen. Seit dem Fall Julius Bär bin ich den Namen nicht mehr losgeworden. Die Presse kannte mich nun als Daniel Schmitt, und es sollte dabei bleiben.
In den folgenden Tagen versuchte ich, so oft es ging, von zu Hause aus zu arbeiten. Ich klemmte mir gegen Mittag irgendein altes Gerät unter den Arm, winkte meinem Vorgesetzten eilig und sagte was von »Versuchsaufbauten, Tschüüüß!« Wenn mein Handy während der Arbeitszeit klingelte, flüchtete ich in das Lager im 8. Stock.
Bald gingen weitere Mails ein. Zahlreiche amerikanische Medien- und Bürgerrechtsbewegungen schlugen sich auf unsere Seite. Schließlich ging es um ihre ureigensten Interessen: Informantenschutz und Pressefreiheit. Das grundsätzliche Problem, dass Mitarbeiter, die über Unrecht in ihren eigenen Unternehmen berichten wollten, daran aber durch interne Knebelverträge und Verschwiegenheitsklauseln gehindert wurden, war ja weithin bekannt und debattiert worden. Die Whistleblower-Thematik war in den USA auch schon viel weiter gediehen als in Deutschland, wo Geheimnisverräter eher als Denunzianten denn als Helden der Informationsfreiheit betrachtet wurden.
Doch zunächst sah es so aus, als würde uns die Gegenseite zu packen kriegen. Bei dem zuständigen kalifornischen Richter erwirkten die gegnerischen Anwälte eine einstweilige Verfügung. Der kalifornische Klageort hatte einen einfachen Grund: Die wikileaks.org-Domain war dort registriert. Die Kanzlei hatte geltend gemacht, dass
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