Inside WikiLeaks
Presse geredet zu haben. Sie sagte immer, was sie dachte, und stand dann dazu.
Julian war überzeugt, dass ich nicht nur Birgitta manipuliert hatte, um sie zu dem Zitat in dem Daily Beast-Artikel zu bewegen. Er glaubte auch, dass ich selbst die Quelle der Informationen über die »internen Querelen« bei WL war, über die berichtet wurde. Ich hatte mit keinem Journalisten geredet. Ich weiß auch nicht genau, woher der Reporter seine Informationen bezog. Es war ja nicht schwierig, auf interne Differenzen zu schließen, wenn bereits unterschiedliche Äußerungen in der Presse kursierten: Birgitta hatte gesagt, sie hielte einen vorübergehenden Rückzug für das Beste, während Julian behauptete, die Frauen wären vom Pentagon auf ihn angesetzt worden und er das Opfer einer Schmierenkampagne.
Wegen der Vergewaltigungsvorwürfe hätte er eine schwierige Woche hinter sich gehabt, die »schlimmste Woche meines Lebens in den letzten zehn Jahren«, schrieb er. Deshalb sei es ihm auch nicht möglich gewesen, meine Anhörung vor dem Panel of Peers zu organisieren.
Zudem beklagte er sich, wir würden uns nicht genügend um seine Sicherheit kümmern. Am 7. September schickte er uns eine ganze Liste mit Dingen, über die wir uns seiner Meinung nach nicht genug Gedanken machten:
Awareness comes from motivation. Ensured my legal support? Housing? Money supply? Intelligence about the case? Details about why it is happening? My support network in Sweden? Political approaches to stop the smear? Articles? Tipoffs? Safehouses? [...]? Diplomatic invites so I won't be shipped off to the US? Rally supports? Raise money for my case? Done any of that? Why not? I do all of that when one of us goes down.« 19
Ich hatte ihm immerhin geholfen, in Schweden Kontakt zu zwei guten Anwälten zu bekommen, noch am ersten Tag, innerhalb von zwei Stunden, während ich eigentlich im Urlaub war.
Als schließlich der ganze Mailserver ausfiel, war Julian auf einmal ausgeschlossen. Ich weiß gar nicht genau, ob er selbst schuld daran war. Vielleicht ist die Kiste auch schlicht kaputtgegangen, alt und schrottig genug war sie ja. Es war der einzige Server, den wir noch nicht erneuert hatten.
Ich diskutierte mit den anderen darüber, ob ich zum Server fahren sollte, um ihn zu reparieren. Früher hatte ich das häufiger gemacht. Bei der Gelegenheit könnte ich auch meine Mails mitnehmen, um zu erfahren, wem ich noch alles eine Entschuldigung schreiben musste, weil ich ihn versetzt hatte.
Am 10. oder 11. September, das weiß ich nicht mehr genau, stieg ich das erste Mal in den Zug. Es war ein warmer Spätsommertag, der ICE war nicht besonders voll. Die wenigen Leute, die noch mit mir im Großraumabteil saßen, waren zum Glück mit sich beschäftigt. Ich schrieb ununterbrochen in das Chatfenster meines Rechners und tippte dabei mit den Füßen auf den Boden.
Während der Fahrt gingen unsere Diskussionen weiter, ich war mir selbst nicht sicher, ob ich das Richtige tat. Sollte ich mir ohne Julians Wissen Zugang zum Server verschaffen? Es war ein Gewissenskonflikt: Sollten wir meutern?
Der Server stand in einem unscheinbaren Ort im Ruhrgebiet. Die Fahrt dauerte lange. So lange, dass ich genug Zeit hatte, es mir anders zu überlegen.
Nach drei Stunden Zugfahrt, ich weiß nicht mehr, wie die Station hieß, in die wir gerade einfuhren, ergriff ich spontan meinen Rucksack, drückte auf den Türknopf und sprang auf den Bahnsteig. Es gibt dieses Phänomen, dass man glaubt, etwas verbrochen zu haben, nur weil man im Rückspiegel gerade einen Polizeiwagen sieht. So ähnlich erging es mir in diesem Moment. Ich fuhr zurück nach Berlin.
Der Architekt hatte nach meiner Suspendierung die Tastatur aus der Hand gelegt und keine einzige Zeile mehr für WL geschrieben – weder in Form von Programmcode noch in Form einer Unterhaltung mit Julian. Der Architekt war ein pragmatischer Mensch und ließ sich durch nichts aus der Ruhe bringen. Ärgerlich machte ihn, wenn jemand seine Zeit verschwendete. Und als ihm Julian trotz mehrfacher Anfragen nicht mehr geantwortet hatte und er für seine Arbeit kein Feedback mehr bekam, warnte der Architekt Julian irgendwann sehr ernsthaft: »Wenn das so weitergeht, bin ich draußen.« Und als sich die Situation dann weiter zuspitzte, hat er dieser Drohung Taten folgen lassen.
Julian fragte mich, warum der Architekt AWOL sei. Tja, was sollte ich da noch sagen?
Ich überlegte zusammen mit einigen anderen, ob es Sinn machen würde, das
Weitere Kostenlose Bücher