Inspector Alan Banks 05 In blindem Zorn
meisten zu schaffen machte, war die Zeitspanne von fast zehn Minuten zwischen Veronica Shildons Ankunft zu Hause und ihrem Klopfen an der Tür ihrer Nachbarin. In zehn Minuten konnte eine Menge geschehen.
Wieder im Erdgeschoss, führte Banks Vic Manson zum Plattenspieler.
»Können Sie die Platte wegnehmen und die ganze Stelle hier nach Fingerabdrücken untersuchen? Außerdem möchte ich, dass auch das Cover und das Innencover zur Untersuchung eingetütet werden.«
»Kein Problem.« Manson machte sich an die Arbeit.
Als die Musik aufhörte, schauten alle hoch. Sie hatte den Tatort derart verzaubert, dass sich Banks wie ein Tänzer vorkam, der mitten aus einer würdevollen Pavane gerissen wurde. Nun schienen die Anwesenden zum ersten Mal wirklich zu begreifen, was sich hier zugetragen hatte. Und das war grauenhaft und hässlich, besonders bei den angeschalteten Lichtern.
»Hast du schon irgendwas Interessantes gefunden?«, fragte Banks Gristhorpe.
»Das Messer. Es lag in der Küche in der Spüle. Abgewaschen, aber ein paar Blutspuren waren noch dran. Sieht aus, als stamme es aus dem Besteckkasten hier. Hast du den Kuchen auf dem Tisch vor dem Sofa gesehen?«
Banks nickte.
»Möglich, dass sie das Messer vorher benutzt hat, um sich ein Stück abzuschneiden.«
»Falls es noch auf dem Tisch lag«, sagte Banks, »war es die praktischste Waffe, die man sich denken kann.«
»Genau. Und dann haben wir noch das hier.« Der Superintendent hielt einen zerknitterten Bogen grünes Weihnachtsgeschenkpapier hoch, an dem silberne Glöckchen und rote Malvenbeeren hingen. »Das lag drüben bei der Stereoanlage.« Er zuckte mit den Schultern. »Könnte vielleicht was bedeuten.«
»Da könnte die Platte drin gewesen sein«, spekulierte Banks und erzählte Gristhorpe, was Veronica gesagt hatte.
Dr. Glendenning, der seinen Bart abgenommen und die obere Hälfte seiner Weihnachtsmannverkleidung aufgeknöpft hatte, trat zu ihnen und steckte sich eine Zigarette zwischen die Lippen.
»Höchstens seit drei oder vier Stunden tot«, verkündete er. »Schwellung an der linken Wange als Folge eines harten Schlages oder Trittes. Könnte sie leicht bewusstlos gemacht haben. Aber die Todesursache war Blutverlust aufgrund der zahlreichen Stichwunden - mindestens sieben, soweit ich zählen konnte. Es sei denn, sie wurde vorher vergiftet.«
»Danke«, sagte Gristhorpe. »Kann man schon sagen, wie es passiert ist?«
»Zum gegenwärtigen Zeitpunkt, nein. Nur das Offensichtliche - es war ein verdammt brutaler Angriff.«
»Ja«, bestätigte Gristhorpe. »Wurde sie sexuell genötigt?«
»Nach oberflächlicher Untersuchung würde ich sagen, nein. Nichts deutet darauf hin. Aber vor der Obduktion kann ich Ihnen nicht mehr sagen - und die werde ich gleich morgen durchführen. Die Jungs können sie nun jederzeit in die Leichenhalle schaffen. Kann ich jetzt gehen? Ich möchte die armen Kinder nicht noch länger warten lassen.«
Banks bat ihn, zuerst noch bei Veronica Shildon vorbeizuschauen und ihr ein Beruhigungsmittel zu geben. Glendenning seufzte, erklärte sich aber einverstanden. Die Sanitäter, die draußen gewartet hatten, kamen herein, um die Leiche abzutransportieren. Glendenning hatte ihre Hände mit Plastiktüten geschützt, um alle Hautpartikel unter den Fingernägeln zu bewahren. Als die Sanitäter sie auf die Bahre hoben, klafften die Schnitte an ihrem Hals auf wie schreiende Münder. Einer der Männer musste eine Hand unter ihren Kopf legen, damit das Fleisch nicht bis zum Rückgrat aufriss. Das war das einzige Mal, dass Banks sah, wie Susan Gay merklich blass wurde und wegschaute.
Nachdem Caroline Hartleys Leiche fort war, blieben außer dem Blut, das auf das Schaffell und die Sofakissen gespritzt war, kaum noch Anzeichen dafür zurück, was für schreckliche Dinge sich an diesem Abend in dem behaglichen Zimmer ereignet hatten. Die Leute von der Spurensicherung packten das Fell und die Kissen zusammen, um sie für weitere Untersuchungen mitzunehmen. Danach war überhaupt nichts mehr zu sehen.
Es war nach halb elf. Constable Tolliver und zwei seiner Kollegen führten noch Haus-zu-Haus-Befragungen in der Gegend durch, aber für die Kriminalbeamten gab es bis zum nächsten Morgen kaum noch etwas zu tun. Sie mussten rekonstruieren, wie Caroline Hartley diesen Abend verbracht hatte: wo sie gewesen war, wen sie gesehen hatte und wer einen Grund gehabt haben
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