Inspector Alan Banks 13 Ein seltener Fall
Bob-Dylan-LP, Bringing ItAll Back Home, und Help!, die Banks gehörte.
Steve Hill war nicht nur besessen vom Masturbieren, er hatte auch einen ziemlich ausgefallenen Musikgeschmack. Andere Kinder schwärmten vielleicht für Sandie Shaw, Cliff Richard und Cilla Black, aber bei Steve mussten es The Ani-mals, The Who und Bob Dylan sein. Die meisten Sachen fanden Banks und Graham auch gut, obwohl Banks Mainstream-Pop wie Dusty Springfield oder Gene Pitney bevorzugte, während Dave und Paul konservativer waren und sich an Roy Orbison und Elvis hielten. Alle miteinander hassten sie natürlich Val Doonican, Jim Reeves und The Bachelors.
Die Songs wie »Subterranean Homesick Blues« und »Mag-gie's Farm« trugen Banks an jenem Sonntag an Orte, von deren Existenz er nichts geahnt hatte. Die geheimnisvollen Liebeslieder »Love Minus Zero/No Limit« und »She Belongs to Me« lagen ihm noch tagelang im Ohr. Zwar musste er zugeben, dass er nicht ein einziges Wort von dem verstand, was Dylan sang, aber diese Lieder hatten etwas Magisches, etwas Ehrfurchtgebietendes. Sie waren wie ein wunderbarer Traum, in dem jemand Kauderwelsch spricht. Dieser Vergleich konnte ihm aber auch erst später eingefallen sein. Als ihn »Like a Rolling Stone« ungefähr ein, zwei Monate später aus den Socken kippte, wurde er ein überzeugter Dylan-Fan, aber selbst heute würde er nicht behaupten, auch nur die Hälfte von dem zu verstehen, was Dylan von sich gab.
Irgendwann liefen die Mädchen vorbei, die weiter unten an der Straße wohnten. Sie waren Mods, wie sie im Buche standen: Miniröcke und Mary-Quant-Frisuren, Pagenköpfe, Ponys und Stirnbänder, die Augen zu stark geschminkt, die Lippen blassrosa, die Nase hoch in der Luft. Mit ihren sechzehn Jahren waren sie zu alt für Banks und seine Kumpel. Sie hatten achtzehnjährige Freunde mit einer Vespa oder Lambretta.
Dave ging früh nach Hause, er sagte, er müsse zum Abendessen zu seinen Großeltern nach Ely, aber Banks vermutete, dass ihm Dylan auf den Wecker ging. Steve machte sich kurz darauf ebenfalls auf den Weg und nahm seine Platte mit. An die exakte Uhrzeit konnte Banks sich nicht erinnern, aber er wusste genau, dass Paul und er gerade »Everyone's Gone to the Moon« hörten, als der Ford Zephyr die Straße entlangfuhr. Es konnte nicht der erste gewesen sein, denn Graham wurde schon seit den Morgenstunden vermisst, aber es war der erste, den die beiden sahen. Paul stieß Banks an und pfiff die Titelmelodie von Task Force Police. Polizeiwagen waren damals in der Gegend nicht unbedingt eine Rarität, aber sie kamen doch so selten vorbei, dass sie auffielen. Der Wagen hielt vor Nummer 58, vor Grahams Haus, und die beiden uniformierten Beamten stiegen aus und klopften an die Tür.
Banks konnte sich entsinnen, dass Mrs. Marshall aufgemacht hatte, eine dünne Strickjacke um sich gewickelt, obwohl es warm gewesen war, und dass die Polizisten die Mütze abgenommen hatten und ihr ins Haus gefolgt waren. Danach war in der Siedlung nichts mehr wie vorher.
Zurück im 21. Jahrhundert, rieb Banks sich die Augen. Die Erinnerungen hatten ihn noch müder gemacht. Die Fahrt nach Athen war strapaziös gewesen, und als er dort ankam, hatte er feststellen müssen, dass der nächste Flug nach Hause erst am folgenden Morgen ging. Er hatte die Nacht in einem billigen Hotel verbracht und bei dem Lärm und der Hektik der Großstadt nicht gut geschlafen, war er doch den Frieden und die Ruhe der abgeschiedenen Insel gewohnt.
Jetzt befand sich das Flugzeug über der Adria, zwischen Italien und dem ehemaligen Jugoslawien. Banks saß auf der linken Seite. Der Himmel war so blau, dass er sich einbildete, ganz Italien unter sich sehen zu können, das Grün und Blau und die Erdtöne von der Adria bis zur Riviera: Hügelland, ein Vulkankrater, Weinberge, ein winziges Dorf, eine große Stadt. Bald würde er in Manchester landen, bald würde die ernsthafte Suche beginnen. Man hatte Graham Marshalls Knochen gefunden, und Banks wollte unbedingt wissen, wie und warum sie an jenem Ort gelandet waren.
Annie bog von der Landstraße zwischen Fortford und Relton auf die Kieszufahrt von Swainsdale Hall ab. Ulmen, Platanen und Eschen bestimmten die Landschaft und gaben den Blick auf das Anwesen erst in der letzten Kurve frei. Dann präsentierte es sich in all seiner Pracht. Das im 17. Jahrhundert aus ortsüblichem Kalkstein und Kohlensandstein erbaute Herrenhaus war ein lang gestrecktes,
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