Inspector Alan Banks 13 Ein seltener Fall
hat uns sehr viele Anhaltspunkte gegeben. Wir brauchten nur noch die Akten zu sichten und die möglichen Kandidaten zu prüfen.« Als die Polizei fündig zu sein glaubte, wurden die Eltern eines vermissten Jungen um DNA-Proben gebeten. Sie waren positiv. »Wir sind erleichtert, dass sie unseren Graham nach so vielen Jahren doch noch gefunden haben«, sagte Mrs. Marshall. »Obwohl wir die Hoffnung nie ganz aufgegeben hatten.« Der vierzehnjährige Graham Marshall verschwand am 22. August 1965, einem Sonntag, als er in der Nähe der städtischen Sozialbausiedlung von Peterborough, wo er wohnte, Zeitungen austrug. Bis jetzt hatte man keine Spur von ihm gefunden. »Damals hat die Polizei jede mögliche Spur verfolgt«, sagte DI Hart gegenüber unserem Mitarbeiter, »aber es ist natürlich möglich, dass die Knochen uns jetzt mehr verraten.« Auf die Frage, ob in dem Fall erneut ermittelt werde, gab DI Hart lediglich zur Antwort, Vermisste würden so lange gesucht, bis sie gefunden würden. Falls es Hinweise auf ein Schwerverbrechen gebe, müsse der Gerechtigkeit Genüge getan werden. Bisher gebe es keine eindeutigen Hinweise auf die Todesursache, allerdings wies Dr. Cooper darauf hin, dass sich der Junge kaum selbst einen Meter tief eingegraben haben könne.
Banks' Magen zog sich zusammen. Er legte die Zeitung zur Seite und starrte aufs Meer. Die untergehende Sonne tauchte den Horizont in rosiges Licht. Alles um ihn herum begann zu flimmern und kam ihm unwirklich vor. Wie auf ein Stichwort erklang der allabendliche Sirtaki vom Band. Die Taverne, der Hafen, das spröde Lachen, alles trat in den Hintergrund. Banks war allein mit seinen Erinnerungen und dem Bericht in der Zeitung.
»Alan? Wie sagt ihr noch mal: A penny for your thoughts?«
Banks schaute auf. Vor ihm stand der dunkle, untersetzte Alex. »Alex! Tut mir Leid. Schön, dich zu sehen. Setz dich doch!«
Alex nahm Platz und machte ein besorgtes Gesicht. »Du siehst aus, als hättest du schlechte Nachrichten erhalten.«
»Das kann man wohl sagen.« Banks zündete sich eine Zigarette an und blickte hinaus auf das dunkler werdende Meer. Es roch nach Salz und etwas nach totem Fisch. Alex gab Andrea ein Zeichen, und augenblicklich stand eine Flasche Ouzo vor den beiden auf dem Tisch, dazu ein zweiter Teller mit Oliven und dolmades. Philippe zündete die Laternen entlang der Terrasse an. Sie schwangen in der leichten Brise und warfen flüchtige Schatten auf die Tische. Alex zog sein Schachbrett aus der Lederschatulle und stellte die Figuren auf.
Banks wusste, dass Alex ihn nicht bedrängen würde. Das war eine der Eigenschaften, die ihm an seinem neuen Freund gefiel. Alex war auf der Insel geboren und nach dem Studium in Athen als leitender Angestellter einer griechischen Schifffahrtsgesellschaft durch die Welt gereist, bevor er zehn Jahre zuvor mit vierzig beschlossen hatte, seinen Beruf an den Nagel zu hängen. Jetzt verdiente er seinen Lebensunterhalt mit handgearbeiteten Ledergürteln, die er am Kai an Touristen verkaufte. Banks hatte schnell gemerkt, dass Alex ein äußerst kultivierter Mensch war; er schwärmte für griechische Kunst und Architektur, und sein Englisch war fast perfekt. Außerdem schien Alex in sich zu ruhen, war zufrieden mit seinem einfachen Leben. So wäre Banks auch gern gewesen. Natürlich hatte er Alex nicht erzählt, womit er sein Geld verdiente, nur dass er Beamter war. Banks hatte festgestellt, dass es Fremde im Urlaub abschreckte, wenn er ihnen seinen Beruf verriet. Oder sie zauberten sofort ein unaufgeklärtes Verbrechen aus dem Ärmel. Ärzten erging es ähnlich: Kaum lernten sie jemanden kennen, war von den seltensten Krankheiten die Rede.
»Vielleicht ist das heute keine gute Idee«, meinte Alex und räumte das Schachspiel wieder zusammen. Es war sowieso immer nur ein Vorwand gewesen, um sich zu unterhalten, denn keiner der beiden war ein geübter Spieler.
»Tut mir Leid«, sagte Banks. »Ich bin heute wohl nicht in der richtigen Stimmung. Ich würde nur verlieren.«
»Tust du doch sowieso. Aber macht nichts, mein Freund. Man merkt, dass dich etwas bedrückt.« Alex erhob sich, aber Banks hielt ihn am Arm fest. Sonderbarerweise wollte er seine Gedanken mit Alex teilen. »Nein, bleib da«, sagte er und schenkte beiden großzügig Ouzo ein. Alex musterte Banks mit seinen ernsten braunen Augen und setzte sich wieder. Auf den Fischerbooten klapperten die Stags gegen die Masten.
»Als ich
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