Inspector Barnaby 03 - Ein Böses Ende
lassen, wo welche Himmelsrichtung lag. Zur Orientierung drehte er sich langsam im Kreis. Dort lag der Gemüsegarten, daher mußte der Dachabschnitt über der Hintertür auf der entgegengesetzten Seite liegen.
Während er noch zögerte, was er als nächstes tun sollte, schoben sich Wolken vor die Sonne und ließen die Farben der ihn umgebenden Ziegel und Mauern verblassen. Wind kam auf, und Christopher zitterte, obgleich ihm nicht kalt war. Jemand spaziert über mein Grab. Er fragte sich, wann dieser Satz zum ersten Mal Erwähnung gefunden hatte, denn die Toten, eingebettet in ihre hölzernen Kokons, waren die letzten, die sich dafür interessierten, ob jemand über ihre zu Staub zerfallenden Köpfe ging oder gar auf ihnen tanzte.
Auf dem Dach stand eine Unmenge von Kaminen, aber es gab nur drei rußige Schornsteine mit jeweils vier Töpfen. Ihre Nähe störte Christopher. Die toten Schornsteine vermittelten ihm den Eindruck von Zusammenhalt. Auf der einen oder anderen Öffnung saß eine Art Haube. Bei einem Windstoß drehten sich mehrere von den Dingern knarzend in seine Richtung. Sein Gefühl von Unsicherheit verstärkte sich noch. Auf einmal kam er zu der unsinnigen Überzeugung, daß die Hauben lebende Organismen beherbergten, die ihn beobachteten. Er versuchte sich zu beruhigen und begann langsam zum gegenüberliegenden Dachrand zu schreiten. Es war unmöglich, einen geraden Weg einzuschlagen. Das Dach setzte sich aus drei steil abfallenden Abschnitten zusammen, von schmalen Trampelpfaden durchschnitten. Zwischen zweien der Pfade bäumte sich das große, von Eisenstreifen eingefaßte Oberlicht auf.
Auf den engen Wegen kam man nur voran, wenn man vorsichtig einen Fuß vor den anderen auf die blauschwarzen, verbogenen Bleiplatten setzte. Genau so verfuhr Christopher. Auf der anderen Seite angekommen, spähte er über den Dachrand. Nun befand er sich direkt über dem zersplitterten Pflasterstein. Die Delle in der Dachrinne verriet ihm, an welcher Stelle der Metallgegenstand hinuntergepurzelt war. Und eine helle, runde, fleckenlose Stelle sagte ihm, wo er die längste Zeit gelegen hatte. Sie war gut einen halben Meter von der Dachrinne entfernt, auf einer ganz ebenen Fläche. Ihm erschien es unmöglich, daß ein Objekt von dieser Größe und diesem Gewicht sich aus eigenem Antrieb in Bewegung gesetzt haben sollte. Selbst für eine einzelne Person hätte es nicht leicht sein können, das Ding zur entsprechenden Stelle zu rücken, geschweige denn über den Rand zu hieven. Und doch mußte es genau so passiert sein.
Sollte dem so gewesen sein - Christopher richtete sich schnell auf und schaute sich um -, wie war es dieser Person dann gelungen, sich so schnell aus dem Staub zu machen? War jemand derart flink, daß er über das Dach gehen, das Oberlicht schließen, die schmalen Treppenstufen überwinden und nach unten laufen konnte und alles innerhalb von dem kurzen Zeitraum zwischen dem Herunterstoßen des Metallklotzes und Christophers Rückkehr in die Halle? Er konnte sich dies - ehrlich gesagt - nicht vorstellen.
Erneut knarzten die Schornsteinaufsätze und erinnerten Christopher daran, daß er sich zuvor beobachtet gefühlt hatte. Vielleicht war er auf eine Erklärung gestoßen. Falls der potentielle Mörder (denn als was sollte man sonst einen Menschen bezeichnen, der einen großen Brocken Eisenerz auf einen Menschenkopf warf?) gar nicht vom Dach herunter war, sondern geblieben war und sich versteckt hatte... Sich womöglich immer noch versteckt hielt.
Schlagartig wurde er sich des leeren Raums hinter seinem Rücken bewußt. Nichts als Luft. Sauerstoff, Stickstoff, Kohlendioxid. Keiner dieser Stoffe hatte die Macht, ihn aufzufangen. Eigentlich - wenn man genauer darüber nachdachte -waren sie nur zum Durchfallen geeignet. Gerade, als er am dringendsten auf sie angewiesen war, merkte er, wie seine Knie weich wurden.
Geschwind legte er die Distanz vom Dachrand zum nächsten Schornstein zurück. Keine Menschenseele verbarg sich dahinter. Auch hinter dem zweiten nicht. Leise und mit pochendem Herzen näherte er sich dem dritten. Vier gedrehte gelbe Stangen, rußüberzogen. Behutsam auftretend, begann er mit der Umkreisung. Nach der Hälfte überfiel ihn das Bedürfnis, laut zu lachen. Diese Vorgehensweise hatte er sich in einer Reihe von schaurigen Filmen abgeguckt, in denen die komische Hauptperson auf Zehenspitzen um einen Baum kreist und von einem Mann im Gorillakostüm verfolgt
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