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Inspector Jury besucht alte Damen

Inspector Jury besucht alte Damen

Titel: Inspector Jury besucht alte Damen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martha Grimes
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Stoppuhr. Sie hatte ein ehrgeiziges Ziel: zweihundertfünfzig Wörter pro Viertelstunde. Wenn sie es nicht schaffte, mußte sie den Rückstand in der nächsten Viertelstunde aufholen, und immer so weiter. So glich das Ende ihres Arbeitstages oft einem Wettlauf mit dem Tod. Im Endspurt vergaß sie zuweilen die Namen ihrer Helden, was ihr jedoch nichts ausmachte, da deren Charaktere, abgesehen von Alter und Geschlecht, austauschbar waren. Wenn Joanna an eines nicht glaubte, dann an künstlerische Integrität. Künstlerische Integrität, den Luxus konnten sich nur die Besitzlosen leisten. Alles, was sie wollte, war Geld.
    Ab und an legte sie eine Pause ein. Nicht etwa um nachzudenken, sondern um sich eine Zigarette anzuzünden; sie rauchte auf Lunge und legte sie dann mit dem glühenden Ende nach außen auf der Schreibtischkante ab. Diese war bereits von einer Reihe angesengter Stellen geziert, ähnlich den Kerben, die man an einem Gewehr für jede Leiche anbringt. Valerie und Matt rangelten auf dem Bett, Valerie mit teilweise entblößten Brüsten. Ob sie den Ausschnitt noch ein klitzekleines bißchen tiefer rutschen lassen sollte? Nein, ausgerechnet jetzt durfte sie nur des Sexes wegen nicht von Bennicks Bedarfsliste abweichen. Schließlich mußte sie vor Tagesende noch dreitausend Wörter schaffen.
    Es gab eine Regel, die sie bedingungslos befolgte: die Überarbeitung mußte sich auf ein absolutes Minimum beschränken lassen; im allgemeinen eine simple Übung im Druckfahnenlesen, um ganz sicherzugehen, daß Valerie und Matt im ganzen Buch ihre Namen behielten. Den letzten Schliff dagegen konnte man getrost vergessen. Warum Perlen vor die Säue werfen?
    Die folgenden zwei Stunden klapperte sie vor sich hin, schaffte ihr Soll von zweitausend Wörtern und war sehr zufrieden mit sich. Unglücklicherweise wußte sie nicht so recht, was sie geschrieben hatte, denn sie hatte die Handlung auf Autopilot gestellt; damit hielt sie sich den Kopf frei für dringlichere Probleme.
    Eines davon war dieser selbsternannte Literaturpapst, Theo Wrenn Browne. Sie hatte keinen Fuß mehr in seinen Laden gesetzt, seit er sich geweigert hatte, ihre Bücher zu führen. Das war an sich schon eine Gemeinheit, auch ohne daß er seinen Kunden noch riet, sie nicht zu lesen. Joanna hatte nämlich hier in der Gegend einen recht guten Ruf genossen. Man tat sich etwas darauf zugute, als einer der ersten «die neue Lewes» zu haben. Schließlich konnten sich nicht viele Käffer eines Bestsellerautors rühmen, auch wenn die Qualität des Geschriebenen zu wünschen übrigließ. Oh, sie wußte genau, daß ihre Bücher Schund waren, und vermutlich fanden zahlreiche Leute, denen sie Leseexemplare schenkte, die Bücher ziemlich dürftig (was noch geschmeichelt war), aber Geld lacht nun mal, und die Leser hielten den Schnabel. Außer Theo Wrenn Browne.
    Das Ärgerliche war, daß die Kunden bei einem Buchhändler, und obendrein einem, der nicht bloß mit neuen, sondern auch mit zerfledderten, stockfleckigen Erstausgaben handelte, gern Geschmack und Unterscheidungsvermögen voraussetzten. Joanna kannte den Grund für seine kleinliche Kritik nur zu gut: Als sie noch auf freundschaftlichem Fuß miteinander gestanden hatten, hatte er sie einmal beiläufig gebeten, einen Blick in seinen eigenen Roman zu werfen. Natürlich hatte er sie nicht rundheraus gebeten, ihn ihrem Verleger zuzuschicken, doch sie hatte die Nachtigall trapsen hören.
    Nachdem sie sich durch fünfundzwanzig Seiten gekämpft hatte, hätte sie ihn ihrem Verleger um nichts in der Welt mehr gezeigt. Es handelte sich nämlich um so einen gräßlichen, avantgardistischen Anti-Roman, haarscharf das, was von Theo Wrenn Browne zu erwarten stand, ohne Dialog und Charaktere, abgesehen vom Erzähler, einem paranoiden südafrikanischen Guerillakämpfer, der sein Leben vor seinem geistigen Auge abrollen ließ, während er sich das letzte Rennen in Doncaster ansah. So lautete auch der Titel: Das letzte Rennen . Der Titel war das einzig Verständliche am ganzen Buch. Die Geschichte hatte etwas mit Apartheid zu tun, doch was, das blieb im dunkeln. Genausowenig kam man dahinter, wie es den südafrikanischen Guerillakämpfer nach Doncaster verschlagen hatte. Zu allem Überfluß war der Afrikaner der landesüblichen Hochsprache nicht mächtig, und das zwang den Leser, sich durch eine eigenartig kreisende Syntax zu kämpfen. Thema war der Tod Afrikas und der Tod des Romans. Joanna hatte ihm gesagt, daß sein Buch

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