Inspector Jury besucht alte Damen
zumindest letzteres in reichem Maß unter Beweis stellte. Ihr eigener Verleger, der trotz seines lüsternen Nebenerwerbszweiges (Liebesgeschichten mit teilweise barbusigen Heldinnen, die er klammheimlich unter einem anderen Firmenzeichen publizierte) für seine intellektuelle Prägnanz bekannt war, würde Das letzte Rennen wie eine tote Maus in den Papierkorb befördert haben.
Die Luft war eindeutig frostig gewesen, als sie Theo Wrenn Browne sein Manuskript wieder ausgehändigt und dazu gesagt hatte, sie könne sich nicht vorstellen, daß ihr Verleger an einem Buch über Pferderennen interessiert sei. Das hatte natürlich dem Faß den Boden ausgeschlagen. Theo Wrenn Browne war aus den dünnen Luftschichten seines hochintellektuellen Elfenbeinturms gerade so lange herabgestiegen, wie er für die Mitteilung brauchte, sie sei nur ein mieser Schreiberling. Dann hatte er den Fehler gemacht, das Manuskript selber einzureichen. Mrs. Oilings zufolge, die für Joanna putzte, wenn sie nicht auf den Besen gestützt dastand und Tee trank, hatte man Theo Wrenn Browne das Manuskript so blitzschnell zurückgeschickt, daß sich die Frage stellte, wie jemand noch die Zeit gefunden hatte, die Lasche anzulecken. Und so mußte sich Theo Wrenn Browne denn ein neues Image zulegen, nachdem er mit dem der völligen Hingabe an die Kunst durchgefallen war. Er trug jetzt abgewetzte Tweedjacken, rauchte kleine, schwarze Zigarillos und machte Miss Ada Crisp das Leben zur Hölle. Miss Crisp war die unglückselige Besitzerin des Trödelladens neben seiner Buchhandlung, die den entzückenden Namen «Wrenns Büchernest» führte. Immer wenn bei ihm wenig los war, tauchte er bei Miss Crisp auf und versuchte, sie so einzuschüchtern, daß sie ihm den Laden zur Erweiterung seines eigenen überließ. Bislang hatte sie seinem Ansturm widerstanden, war dabei aber noch tatteriger als zuvor geworden und ruckelte und zuckelte die High Street entlang, als hätte man sie an eine Steckdose angeschlossen.
Wenn Theo Wrenn Browne nicht Miss Crisp piesackte, war er auf der anderen Seite der High Street zu finden und ließ sich (vornehmlich wenn Trueblood Kundschaft im Laden hatte) lauthals über die überhöhten Preise und die sogenannte Echtheit eines Silberstempels aus. Als hätte sich Marshall Trueblood die Mühe gemacht, sein gesamtes Silber selbst zu stempeln. Laut Mrs. Oilings hatte Theo Wrenn Browne sogar angefangen, in Büchern über Antiquitäten zu blättern. Trueblood jedoch war aus härterem Holz geschnitzt als Miss Ada Crisp; ihm hätte man schon eins mit einem seiner antiken Totschläger überziehen müssen, ehe er sich derart ins Bockshorn hätte jagen lassen.
Bei Licht besehen gab es in Long Piddleton nicht einen Menschen, der Theo Wrenn Brownes scharfe Zunge noch nie zu spüren bekommen hatte …
Joanna schob diese ihrer Produktion abträglichen Gedankengänge entschlossen beiseite; aber das führte nur dazu, daß ihr der wahre Grund ihres Dilemmas in den Sinn kam. Während sie auf die Tasten einhämmerte, war sie sich völlig darüber im klaren, daß das Gerangel auf dem Bett verglichen mit ihrem eigenen aufgewühlten Seelenleben der reinste Kleckerkram war.
Theo Wrenn Browne sah zu, wie das Messer der Papierschneidemaschine heruntersauste, schnitt und wieder hochschnellte. Er drückte sich das Taschentuch wie eine Kompresse gegen die Stirn und tupfte damit die Schweißtropfen auf. Theo Wrenn Browne stand im Hinterzimmer des «Büchernests» an der Buchpresse und griff jetzt mit einer gewissen Ehrfurcht nach seiner letzten Erwerbung, einem Buch, das er gerade neu binden wollte. Er hatte die einzelnen Teile mit Kleister bestrichen. Nun leimte er die Falze eines Vorsatzpapiers. Als das getan war, legte er das mit dem Vorsatzpapier versehene Buch zwischen zwei Bretter und beschwerte es.
Die Arbeit lenkte ihn, zumindest für den Augenblick, davon ab, an den letzten Abend denken zu müssen. Er meinte jedoch immer noch das Kitzeln zu spüren, mit dem ihm der kalte Schweiß zwischen den Schulterblättern herunterrann; und sofort griff er nach einem anderen Buch und machte sich daran, Farbe auf den Schnitt aufzutragen.
Keiner würde dahinterkommen, nicht einmal Marshall Trueblood.
Marshall Trueblood gehörte zu den Menschen, die er verabscheute. Er schob das unangenehme Gefühl beiseite, seine Abneigung könnte womöglich vollkommen andere, verborgene Gründe haben. Zweifellos konnte er Trueblood, was Kenntnisse über Antiquitäten anging,
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