Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Inspector Jury besucht alte Damen

Inspector Jury besucht alte Damen

Titel: Inspector Jury besucht alte Damen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martha Grimes
Vom Netzwerk:
bloß für marmorkalt halten, fragte er sich und beantwortete die Frage: «Wohl kaum, nein. Die Eintragungen sahen alle nach derselben Handschrift aus.»
    Man sollte meinen, sie hat nichts mitbekommen, dachte er.
    «Immer noch ich, wie? Mir müßte doch daran gelegen sein, daß die Polizei glaubt, er sei nach London gefahren.»
    Einen Augenblick lang verstand er sie nicht. «Das wäre kein Alibi, zumindest keins, das Sie retten könnte. Falls Sie ihn umgebracht haben, Mrs. Lean, dann hätten Sie das auch bei seiner Rückkehr tun können.»
    Als sie ihn von unten her anblickte, war ihr Teint wieder so durchscheinend wie zuvor. Sie lächelte ein wenig, aber auf Jury hatte das eine magische Wirkung. «Wirklich sehr komisch, sich mit einer mutmaßlichen Mörderin zu unterhalten und sie ‹Mrs. Lean› zu titulieren. Ich meine, solch ein furchtbarer Verdacht berechtigt zumindest dazu, sich mit Vornamen anzureden. Ich heiße Hannah; wie Sie heißen, weiß ich nicht.»
    Damit ließ sie ihn stehen, und als ihre Absätze sich eilig klappernd über die Fliesen entfernten, sah Jury, wie die Gardine schon wieder herabfiel.
    Der trockene Springbrunnen, die prächtige, von der Sonne goldumsponnene Loggia, die blumengesäumten Pfade und die Windharfen, so viele Blumen, daß es aussah, als wären sie vom Himmel gefallen.
    Und dennoch ein unsäglich einsames Fleckchen Erde. Jury gab Gas.

11
    A LS D IANE D EMORNEY die Tür öffnete, wirkte sie eher gewickelt als gewandet.
    Die frühere Besitzerin des Hauses, Lorraine Bicester-Strachan, hatte die Schwelle einst ebenso dekorativ geziert wie heute Diane Demorney. Die vormalige und die jetzige Hausherrin hatten sowieso vieles gemein: das dunkle Haar, die gute Figur, die hochmütige Haltung des Kopfes und die geradezu wölfische Gier, Jury ins Haus zu locken. Diesen Eindruck jedenfalls vermittelte Diane, als sie die Tür noch weiter aufriß, ehe er überhaupt seinen Dienstausweis zücken konnte.
    Das Haus war völlig neu aufgedonnert worden (wie es seine Besitzerin vermutlich auch mit sich selbst hielt, mehrmals vom Aufgang der Sonne bis zu ihrem Untergang). Das Zimmer, in das sie ihn führte, war nun ein arktisches Gleißen, während früher darin jede Menge Pferdekram und Gemälde von Treibholz und sturmzerzausten Küstenlandschaften vorgeherrscht hatten. Und doch war der Eindruck damals genauso frostig gewesen wie jetzt, denn es gibt nun einmal Menschen, die allem die Wärme entziehen können. Hier wirkte nur etwas verwohnt, nämlich Diane Demorney.
    Die Art, wie sie sich selbst in Szene setzte, fand er fast komisch: Frau und Zimmer wirkten, als ob eins ohne das andere nicht sein könnte, sie schienen zusammenzugehören wie Vorder- und Hintergrund. Alles war weiß – Teppiche, Sofa, Stühle – bis hin zu dem Bild an der Wand, das weiß in weiß gemalt war. Was nicht wie arktischer Schnee aussah, sah aus wie arktisches Eis; die paar Tische waren nämlich aus zart bläulich getöntem Glas. Auf einem warteten ein Martini-Krug und Gläser von der ungefähren Spannweite eines Regenschirms.
    So bot denn der Vordergrund – Miss Demorney selbst – den einzigen Färbtupfer. Und einen recht kräftigen obendrein: das leuchtendrote Kleid war aus Georgette drapiert. Vom Oberteil mit den gepolsterten Schultern, die aussahen wie Messergriffe, floß der Stoff in Fältchen über den Busen und dann über eine nicht definierte Hüftlinie in immer engeren Falten bis zum Knie hinab. Es lief schmal zu wie eine Klinge, und vor den weißen Wänden wirkte es wie ein sichelförmiger, blutroter Schnitt, so als hätte jemand das Zimmer erdolcht.
    Als sie einen kleinen Niagarafall Gin in den Krug goß, sagte Jury: «Pardon. Haben Sie Freunde erwartet?»
    «Nur Sie, Superintendent.» Sie schenkte die Kappe der Wermutflasche voll, goß die Hälfte davon in die Flasche zurück und den verbleibenden Hauch von Wermut in den Gin. «Olive? Oder mit Pfiff? Ich für mein Teil reibe gern mit einer Knoblauchzehe über den Rand. Oder hätten Sie ihn lieber mit Wodka?»
    «Auf der Suche nach dem vollkommenen Martini, was?»
    «Der vollkommene Martini, Superintendent, ist ein tüchtiger Schluck Gin aus der Pulle; leider stehen einem dabei die guten Manieren im Wege.»
    Als sie das zweite Glas einschenken wollte, sagte Jury: «Nicht für mich, danke.»
    Diane warf ihm einen gequälten Blick zu. «Mein Gott, das darf doch nicht wahr sein, das mit dem Alkohol im Dienst? Ich dachte immer, das gibt es nur in diesen

Weitere Kostenlose Bücher