Inspector Jury besucht alte Damen
nicht das Wasser reichen, aber daß dieser Mensch ihn demütigen mußte, und das auch noch vor –
Daran darfst du überhaupt nicht denken, alter Junge , sagte er zu sich selbst.
Statt dessen dachte er an Diane Demorney, die prächtige Dienste als Freundin und obendrein als Tarnung leistete. Und als Ratgeberin. «Ihr Problem ist, daß Sie einfach zuviel lernen wollen», hatte Diane gemeint, als sie in ihrem Wohnzimmer bei einem Drink gesessen hatten. «Warum halten Sie sich nicht einfach an eine Periode, nein, nicht mal an eine ganze Periode, sondern nur an einen Teil davon. Noch besser, an den Teil eines Teils. Sagen wir, viktorianische Salzfässer oder so etwas Leichtes. Da würde Marshall aber ganz schön dumm aus der Wäsche gucken, was? Der muß den ganzen verdammten Krempel schließlich verkaufen – und alles, was er weiß, hat er durch sein Geschäft gelernt. Man kann sich ja nicht gut durch ganze Batzen von Büchern lesen, wenn man gleichzeitig arbeiten muß.»
Diese Argumentation war im Demorneyschen Sinne durchaus logisch. Dabei war aber gerade das, was Trueblood durch das Geschäft gelernt hatte, das Problem: Er hatte es schließlich damit von alten Klamotten zu Kies gebracht. Schwer vorstellbar (hatte sie gesagt, und ihm noch einen ihrer gut gemixten Martinis eingeschenkt), daß Marshall jemals alte Klamotten getragen haben sollte.
Es wurmte Theo, mit welcher Bewunderung sie von ihm sprach; fast hätte man auf die Idee kommen können, daß die exquisite Diane Demorney in Marshall Trueblood eine neue Welt erblickte, die es zu erobern galt.
Die Hand mit der Watte verharrte über dem Buchrücken, während Theo Wrenn Browne ins Leere starrte und Marshall Trueblood im Geist in weitere Einzelteile zerlegte. Er konnte es einfach nicht fassen, daß irgend jemand in Long Piddleton diesen Menschen – und folglich seine Ware – ernst nahm. Melrose Plant beispielsweise schien ihn tatsächlich zu mögen . Und nichts, aber auch rein gar nichts deutete darauf hin, daß Plants sexuelle Vorlieben andere als stinknormale waren. Theo umklammerte das Buch, bis die Fingerknöchel weiß hervortraten.
Er packte das Paket aus und riß ein weiteres auf. Die gängigen Bestseller, fünf von jeder Sorte und zehn vom Booker-Preisträger. Und dann zwei Bücher, die er nur für den Eigenbedarf geordert hatte, nicht etwa zum Verkauf. Theo fischte die neueste Lewes heraus: Lust in Lissabon . Nein, was für abscheuliche Titel diese Liebesromane aber auch hatten. Nie würde er sich so weit herablassen, daß er Joanna die Wahnsinnige im Laden führte, diese gleichermaßen abscheuliche Person. Aber sie zu lesen war ein Genuß, einfach himmlisch, es sich dabei mit einer Tasse Tee und einer Schachtel Pralinen im Bett gemütlich zu machen. Ein Jammer, daß sie sich im Kriegszustand befanden, sonst hätte er sie um eine Widmung gebeten. Würde eines Tages sicher ihren Wert haben. Bei dem Gedanken, wie sie sich geweigert hatte, seinen eigenen Roman zusammen mit einer Art Billetdoux ihrem Verleger ans Herz zu legen, spürte er, wie ihm das Blut zu Kopf stieg. Eine absolut niederträchtige Person. Sitte und Anstand geboten es einfach, daß man seinem Verleger seine Freunde wärmstens empfahl. In seinem Kopf begann es zu pochen; er rieb sich die Schläfen. Diese Demütigung, das Buch selbst einreichen zu müssen und es dann mit nichts als einer vorgedruckten Absage zurückzubekommen. Kein Interesse für die Kunst, diese Verleger; die waren doch nur auf den Lewes-Kitsch aus. Natürlich machte es ihm Spaß, Kitsch zu lesen, jeder brauchte im Leben eine Dosis Kitsch, doch das war keine Entschuldigung dafür, daß sie einen Schatz nicht erkannten, wenn sie ihn vor sich hatten. Das letzte Rennen würde schon noch den Booker-Preis gewinnen, es brauchte nur auf dem Schreibtisch eines intelligenten Verlegers zu landen. Es war experimentell, großartig. Wenn er etwas von sich behaupten konnte (unter anderem natürlich), dann, daß er kein Risiko scheute. Im Gegensatz zu den Werken vieler anderer Autoren, die nach dem ewig gleichen Rezept schrieben – Joanna die Wahnsinnige beispielsweise oder diese Krimiautorin mit der miesen Schreibe, diese Polly Praed, deren Bücher sich Melrose Plant immer holte. Nein, so nicht. Er würde auch für alles Geld der Welt den Lesern kein Linsengericht vorsetzen.
Andererseits jedoch hatte er gar nichts gegen Geld. Er hatte versucht, diese Crisp aus ihrem trostlosen Trödelladen nebenan hinauszudrängen, doch
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