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Inspector-Wexford 22 - Der vergessene Tote

Inspector-Wexford 22 - Der vergessene Tote

Titel: Inspector-Wexford 22 - Der vergessene Tote Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ruth Rendell
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Platz am Fuß eines Baumstamms leiten lassen. Jetzt führte sie Jim tatsächlich zu einem ausgewachsenen Baum, den er für eine Maulbeerfeige hielt. Und hier konnte er die Fliegen mit eigenen Augen sehen.
    »Los, Mädel, buddeln!«, rief er.
    Bereitwillig tauschte Honey ihr Fundstück, einen tennisballgroßen genarbten Klumpen, gegen einen Brocken Lendensteak ein, den Jim aus einem mitgebrachten verschließbaren Plastikbeutel holte.
    »Dieser alte Pilz wiegt mindestens ein halbes Pfund«, sagte er laut. »Brav Honey, weiter so.«
    Und Honey machte weiter. Die Trüffelfliegen ärgerten sie. Sie schnappte nach dem Schwarm und jagte ihn auseinander, dann bewegte sie sich mit der Schnauze schnüffelnd zu der Stelle, an der die Fliegen am dichtesten gestanden hatten. Dort fing sie erneut zu buddeln an und holte aus der üppigen Mulchschicht zuerst einen viel kleineren Trüffel und danach eine Knolle, die entfernte Ähnlichkeit mit einer großen Kartoffel hatte. Und wieder gab es zur Belohnung ein paar Steakbrocken.
    »Da drüben surren jede Menge Fliegen herum«, meinte Jim, wobei er auf eine wahrscheinlich hundertjährige Riesenbuche deutete. »Wie wäre es mit einem Ortswechsel?«
    Honey hatte dazu keine Lust. Darin glich sie einem Diamantensucher, der sich so lange weigert, eine Ader aufzugeben, aus der er bereits ein Vermögen an Edelsteinen ans Tageslicht gefördert hat, bis er hundertprozentig weiß, dass dieses Flöz erschöpft ist. Honey schnüffelte, buddelte, hieb mit den Pfoten nach den Fliegen und buddelte wieder. Die Suche nach weiteren Trüffeln verlief indes ergebnislos, und das ausgegrabene weiße Objekt, das jetzt wie ein Fächer auf der rotbraunen Erde lag, war für Honey uninteressant. Kein Zweifel, das war eine Menschenhand, besser gesagt das Skelett davon. Keine Spur mehr von Fleisch, Haut, Adern oder Sehnen daran.
    »Ach, du lieber Gott«, rief Jim Belbury, »Mädel, was hast du da nur gefunden?«
    Honey hörte auf zu buddeln, als hätte sie ihn verstanden, setzte sich hin und legte den Kopf schief. Jim tätschelte sie. Dann legte er die drei Trüffel in den eigens dafür mitgebrachten Plastikbeutel, verstaute ihn in seinem Rucksack und zog sein Handy heraus. Der ehemalige Landarbeiter Jim mochte zwar ein altes Provinzei sein, das in einem Cottage ohne Bad und Kanalanschluss wohnte, aber wie sein fünfzehnjähriger Großneffe wäre er nie ohne sein Handy aus dem Haus gegangen. Da er die Nummer der Polizeistation von Kingsmarkham nicht kannte, wählte er einfach die Notrufnummer 999.
    1 Gemeint ist der britische Historiker Edward Gibbon (1737–1794), der in seinem Werk Verfall und Untergang des römischen Imperiums diese Ansicht vertrat (Anm. d. Red.).

2
    _____
    Da lagen sie nun vor aller Augen, die Fundstücke aus der Grube: ein Haufen Knochen, die eher wie Besenstiele aussahen, und ein Schädel, an dem noch die Reste von verwesten Gewebefetzen hingen. Und alles in einen lila Baumwollstoff eingewickelt. Zwei Stunden hatte man nun schon unter den wachsamen Augen Jim Belburys und seines Hundes gegraben.
    »Mann oder Frau?«, wollte Chief Inspector Wexford wissen.
    »Kann man schwer sagen.« Die junge Pathologin sah wie ein fünfzehnjähriges Model aus: schlank, groß, blass und nicht von dieser Welt. »Sobald ich mich näher damit befasst habe, werde ich es Ihnen mitteilen.«
    »Wie lange liegt das schon hier?«
    Carina Laxton musterte Wexford und seine Assistentin, DS Hannah Goldsmith. Letztere hatte die Frage gestellt. »Und wie lange sind Sie beide schon bei der Kripo? Müssten Sie nicht längst wissen, dass ich Ihre Frage nicht sofort beantworten kann, wenn eine Leiche offensichtlich schon jahrelang unter der Erde gelegen hat?«
    »Schon gut, aber – Monate oder Jahrzehnte?«
    »Vielleicht zehn Jahre. Eines kann ich Ihnen allerdings verraten: Sie vermessen und fotografieren, als hätte jemand die Leiche letzte Woche vergraben, aber das ist reine Zeitverschwendung.«
    »Vielleicht kann uns Mr. Belbury weiterhelfen«, meinte Wexford, der beschlossen hatte, nicht näher auf Jim Belburys unbefugtes Betreten einzugehen. Vermutlich ging das schon seit Jahren so. »Hat Ihr Hund schon früher mal hier gegraben?«
    »Nein, nicht an diesem Fleck«, erwiderte Jim. »Dort drüben, wo größere Bäume stehen. Darf ich Sie was fragen? Glauben Sie, dass hier was faul ist?«
    Nein, dürfen Sie nicht, hätte Wexford am liebsten gesagt, aber dann wurde er doch nachsichtig. »Irgendjemand hat ihn oder sie

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