0794 - Das Zauber-Zimmer
Die Halle war sicherlich einmal von zahlreichen Tischen und Stühlen belebt worden, das traf nun nicht mehr zu. Es verteilten sich noch einige wenige kleine Sessel, auch die dazugehörigen runden Tische sah ich zwischen den Sitzgelegenheiten stehen, ansonsten war alles ausgeräumt worden. Zur rechten Hand entdeckte ich eine hohe Doppeltür, die wiederum in eine Nachbarhalle führte. Allerdings konnte ich nicht sehen, wie groß der Raum hinter der Tür war, denn auch auf diesem Glas hatten die Spinnweben das graue Muster hinterlassen.
Und doch war die Hotelhalle nicht leer. Außer mir hielten sich noch drei Menschen auf, wobei ich mich fragte, ob ich die Gestalten tatsächlich als Menschen ansehen sollte.
Es waren Musiker.
Ein Klavierspieler, der vor seinem Instrument saß, und zwei Stehgeiger. Alle drei spielten, als hätten sie auf mich gewartet, um mich mit den melancholischen Klängen von Thais Meditation, komponiert von Jules Massenet, zu empfangen.
Die Melodien klangen schwermütig durch die Halle, rieselten über meinen Rücken und sorgten dafür, dass sich der Schauer noch mehr festigte.
Es fiel mir schwer, mich aus dieser akustischen Umklammerung zu befreien und mich auf das zu konzentrieren, was wichtig war, und zwar die Musiker.
Die alten, verstaubten, dunklen Fräcke bildeten einen Gegensatz zu den ebenfalls verstaubt wirkenden und trotzdem bleichen Gesichtern, in denen die Falten und Furchen wie mit der Nadel eingezeichnet schienen. Auf mich wirkten die Männer wie Typen, die soeben einem Grab entstiegen waren und sich in der Welt noch nicht richtig zurechtfanden, bis eben auf ihre Musik.
Sie spielten, und sie waren nicht mehr als Marionetten. Ihre Gesichter glichen starren Masken.
Einer stand etwas abseits von den anderen. Er war nach vorn getreten, als wollte er sich absetzen. Wahrscheinlich war er der Chef der Gruppe, und er sah ebenso aus wie die beiden anderen. Nur sein breites Gesicht mit dem kantigen Lächeln unterschied sich von den Mienen seiner Kollegen, doch die roboterhaften Bewegungen hatten sie gemein.
Ich war durch meinen Eintritt in dieses alte Jugendstil-Hotel tatsächlich in eine andere Welt gelangt, in der es mir auch schwer fiel, mich zurechtzufinden. Es gab keinen vernünftigen Grund für die Existenz dieser Musiker. Sie stammten aus einer anderen Zeit, möglicherweise aus einem anderen Land, wobei ich diesen Begriff nicht nur dreidimensional sah. Jedenfalls waren sie da und keine Einbildung, ebenso wie die sentimentalen Klänge ihrer Musik.
Ich hatte die Musik zuvor nicht gehört. Erst nach meinem Eintritt war sie aufgeklungen, und ich dachte darüber nach, ob ich das Ende abwarten sollte, um dann auf die drei Männer zuzugehen, die aussahen wie Greise, obwohl sie wahrscheinlich jünger waren.
Irgendetwas war mit ihnen. Aber nicht nur damit, auch mit dem gesamten leer stehenden Hotel, in das mich der Tipp eines Freundes geführt hatte, denn hier sollte es angeblich spuken. Das Haus war am Ende des neunzehnten Jahrhunderts errichtet worden.
Viel mehr hatte mir der Freund, Kommissar Harry Stahl aus Leipzig, nicht gesagt oder nicht sagen wollen, doch ich würde mich schon zurechtfinden.
Die Melodie erzählte von Melancholie, von Schmerz und auch von großer Trauer. Ich überlegte, ob ich das Ende des Musikstücks abwarten sollte, fand dies nicht gut, sondern wollte selbst die Initiative ergreifen. Ich war gespannt, wie sie auf mich reagieren würden, wenn ich plötzlich vor ihnen stand.
Sehr langsam ging ich auf sie zu. Die Klänge der Musik überdeckten die Geräusche meiner eigenen Schritte. Das Schaben durch den Staub, das leise Knirschen, wenn sich der Unrat unter meinen Füßen zusammendrückte, und keiner der Musiker störte sich daran, dass ich auf das Trio zuging. Die Männer spielten weiter.
Ich schob mich an der Rückenlehne eines verstaubten Sessels vorbei, hatte daraufhin nur noch wenige Schritte zurückzulegen, als es passierte. Und was dann geschah, überraschte mich ebenfalls wie ein Guss mit eisigem Wasser. Auf einmal flimmerten die Umrisse der drei Musiker. Es sah aus, als wären sie von zahlreichen Blitzen umgeben, und wenig später gab es sie nicht mehr.
Da waren sie weg, verschwunden!
Keine Melodien mehr, keine Musiker, ich stand allein in der leeren Halle und starrte dorthin, wo sie gewesen waren. Das Piano hatten sie zurückgelassen, die Geigen waren verschwunden.
Manche wären zurückgewichen, ich nicht. Mit zwei Schritten erreichte ich den
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