Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Inspektor Jury schläft außer Haus

Titel: Inspektor Jury schläft außer Haus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martha Grimes
Vom Netzwerk:
Chinarestaurant?»
    Das Telefon unterbrach sie; unwirsch griff Racer nach dem Hörer. «Ja?» Einen Augenblick lang hörte er zu, während seine Blicke zu Jury hinüberwanderten. «Ja, er ist hier.» Er wartete, und auf seinen dünnen Lippen erschien ein boshaftes Grinsen. «Über 1,80 groß, kastanienbraunes Haar, dunkelgraue Augen, gutes Gebiß und ein unwiderstehliches Lächeln?» flötete er. «Richtig, das ist Inspektor Jury, wie er leibt und lebt.» Das Lächeln verschwand. «Sagen Sie ihr, er würde zurückrufen. Wir haben zu tun.» Racer knallte den Hörer auf die Gabel, daß die Kugelschreiber auf dem Schreibtisch tanzten. «Abgesehen von dem unwiderstehlichen Lächeln könnte diese Beschreibung auch auf ein Pferd zutreffen.»
    Geduldig fragte Jury: «Könnten Sie mir sagen, um was es ging?»
    «Eine der Kellnerinnen aus dem Soho-Restaurant.» Racer schaute auf seine Uhr. Der Anruf hatte ihn wohl an seine eigenen Verpflichtungen erinnert. «Ich bin zum Abendessen verabredet.» Er schob den Schnellhefter über den Schreibtisch. «Fahren Sie in dieses gottverdammte Kaff. Und nehmen Sie Wiggins mit. Außer sich zu schneuzen, tut er ja nichts.»
    Jury seufzte. Wie üblich hatte ihn Racer nicht einmal gefragt, wen er als Assistenten haben wollte. Wiggins war noch ziemlich jung, aber ein solcher Hypochonder, daß er wie ein alter Mann wirkte. Er war nicht unangenehm und auch nicht faul, aber dauernd der Ohnmacht nahe. «Ich werde Wiggins abholen und morgen früh losfahren», sagte Jury.
    Racer war von seinem Stuhl aufgestanden und schlüpfte in seinen elegant geschnittenen Mantel. Jury fragte sich, woher sein Chef das Geld nahm. Schmiergelder? Und wenn schon, Jury interessierte es nicht.
    «Ja, tun Sie das.» Der Kriminaldirektor klopfte auf seine flache Golduhr. «Dinner im Savoy. Eine Dame erwartet mich.» Anzüglich lächelnd beschrieb er ein paar Kurven in der Luft. «Und denken Sie um Gottes willen daran, daß Sie hier arbeiten! Wenn Sie in dieses Kaff kommen, erwarte ich, daß Sie sich zur Abwechslung mal melden.»

    Jury ging den Korridor entlang – wie trist diese Korridore doch im Vergleich zu der viktorianischen Eleganz des alten Gebäudes waren. Von Marmor und Mahagoni war hier nichts zu sehen. So vollgestopft und unübersichtlich der alte Scotland Yard auch gewesen war, Jury hatte ihn trotzdem vorgezogen. Als er vor der Tür seines Büros angelangt war, sah er ganz in der Nähe Fiona Clingmore herumschwirren; sie tat so, als wäre sie rein zufällig hier gelandet, und knöpfte gerade ihren schwarzen Mantel zu.
    «Hallo, Inspektor Jury, endlich Feierabend?» Ihre Stimme klang hoffnungsvoll.
    Jury lächelte, griff hinter die Tür und nahm seinen Mantel vom Haken. Da seine Mitarbeiter bereits gegangen waren, knipste er das Licht aus und schloß die Tür ab. Er blickte zu ihr hinunter, auf ihr Gesicht, das weniger jung war, als man vielleicht von weitem vermutet hätte, auf ihr aufgetürmtes gelbes Haar, auf dem ein Pillbox-Hut saß, und sagte: «Fiona, wissen Sie, an was Sie mich erinnern?» Sie schüttelte den Kopf, schaute ihn aber erwartungsfreudig an. «An diese alten Kriegsfilme, in denen die Amis nach London strömen und sich in die Londonerinnen verlieben.» Fiona kicherte. «Das war wohl etwas vor meiner Zeit.»
    Das stimmte, trotzdem schien sie aus einer andern Ära zu stammen. Vielleicht war sie noch nicht ganz vierzig, aber viel fehlte bestimmt nicht. «Mein Joe hätt’s bestimmt nicht gerne, wenn Sie so mit mir reden, Inspektor Jury», sagte sie züchtig.
    Immer sprach sie von ihrem Joe. Gesehen hatte ihn noch keiner. Jury war schon vor einiger Zeit der Verdacht gekommen, daß dieser Joe vielleicht überhaupt nicht existierte. Gegeben hatte es ihn womöglich einmal, aber nun nicht mehr. Er betrachtete Fiona, die lächelnd zu ihm hochblickte, sah, wie leer ihre Augen waren, und Mitgefühl, ja sogar ein Gefühl der Verbundenheit stieg in ihm auf. «Hören Sie», sagte Jury und schaute auf seine Uhr. «Ich muß noch was in Soho erledigen. Da es sich um ein Restaurant handelt und ich noch nicht gegessen habe … was halten Sie davon? Wie wär’s mit einem kleinen Essen? Ich brauche dringend eine Pause.»
    Wie der Himmel bei Sonnenaufgang überzog sich ihr Gesicht mit einer zarten Röte. Dann senkte sie die getuschten Wimpern und sagte: «Oh, ich weiß nicht, ob mein Joe damit einverstanden wäre, aber …»
    «Joe braucht’s ja nicht zu erfahren, oder?» Sie blickte auf, und Jury zwinkerte ihr

Weitere Kostenlose Bücher