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Inspektor Jury spielt Katz und Maus

Inspektor Jury spielt Katz und Maus

Titel: Inspektor Jury spielt Katz und Maus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martha Grimes
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Baronin sich über alles Irdische erhaben wähnte, war es Carrie überlassen, sich die Beschwerden anzuhören. Sie war immer wieder erstaunt, daß die Herrschaften aus Ashdown Dean es einfach nicht begriffen: Die Baronin Regina de la Notre war entweder in einen Tagtraum versunken oder sternhagelvoll.
    Wenn Regina allerdings ihre Salons abhielt, begab sie sich aus der Vergangenheit zurück in die Gegenwart, wie um frische Luft zu schnappen.
     
    Das ging Carrie durch den Kopf, als sie, geblendet vom glänzenden Wasser, zur Kirche sah. Den Enten, die immer noch auf Brotkrumen hofften, hatten sich zwei Schwäne hinzugesellt. Carrie hatte Geld für Gin im Schuh, damit wollte sie nun doch ein halbes Brot kaufen und es an sie verfüttern.
    Sie ging in Richtung Poststelle, in Gedanken bei der Dame und dem Herrn von «Haus Diana».
    Sie gestattete sich die eitle Überlegung, ob sie lieber die tief violetten oder die glitzernd grünen Augen hätte. Sie hatte ihre eigenen Augen immer gehaßt, die so blaß waren wie alles an ihr. Vielleicht sollte sie sich schämen, weil sie in einer Welt voller Leid wünschte, hübsch zu sein. Schlimmer noch, Carrie wollte absolut und umwerfend schön sein. Wie auch immer, jetzt wollte sie Brot kaufen.

10
    S O S EHR C ARRIE F LEET sich auf dem weitläufigen Anwesen von «La Notre» auch bemühte, der Baronin Regina aus dem Weg zu gehen, es war schier unmöglich. Um halb zwölf hätte die Baronin eigentlich ihren späten Kaffee und das Brioche auf der rankenüberwucherten Terrasse mit Blick auf den Ententeich einnehmen müssen.
    Aber sie war so unberechenbar wie der Verlauf ihrer Geschichte. Sie war eine geborene Scroop und kam aus Liverpool. Baron Reginald de la Notre, der mit feinen Lederhandschuhen ein Vermögen verdient hatte, hatte Gigi Scroop dort hinter einem Ladentisch entdeckt und sich (nach Aussagen der Baronin) unsterblich in ihre Hände verliebt. Carrie hatte ihre grazilen, beringten Finger oft beobachtet, wenn sie sich noch ein Gläschen Gin einschenkte oder noch eine Zigarette anzündete.
    Es hätte Carrie gar nicht überrascht, wenn die beiden wegen ihrer Namen – Regina und Reginald – geheiratet und sich gegenseitig Reggie genannt hätten. «Gigi» war bei den Scroops Reginas Kosename gewesen. Carrie fragte sich, wie sie den Liverpooler Akzent losgeworden war. Sie konnte sogar Französisch, jedenfalls gerade genug, um die Leute glauben zu machen, sie könnte es.
    «La Notre». Was für ein dämlicher Name in einem englischen Dorf, dachte Carrie, als sie durch das Wildgehege lief und sich darauf konzentrierte, Spuren von Wilddieben zu entdecken. (Carrie war die einzige, die auf dem Anwesen ein Gewehr tragen durfte. Die Erlaubnis hatte sie sich natürlich selbst erteilt.) Bevor der (vor fünfzehn Jahren verstorbene) Baron die alte Villa in seine knubbeligen Finger bekommen hatte, war sie ein schlichtes Gebäude gewesen. Er hatte (nach Aussagen der Baronin) das unglaubliche Potential des Hauses und der Gartenanlagen erkannt – des «Anwesens», dessen Geschichte sie unermüdlich wiederkäute. Der Baron war ein Nachfahre des berühmten Gärtners von Versailles. Aber Carrie war mit so vielen Bildern berühmter Gärten verwöhnt worden, daß sie die Lobelien am liebsten sofort zertrampelt hätte.
    Trotzdem tat es ihr manchmal leid, daß der Baron sich zu seinen blumigen Ahnen davongemacht hatte, denn es hätte sie amüsiert, diese Witzfigur Arm in Arm mit der Baronin die Pfade hinauf und hinunter flanieren zu sehen, an den römischen Statuen, den Tümpeln und Teichen vorbei. Was für ein Pärchen mußten sie abgegeben haben! Sie begriff nicht, wie jemand das schöne alte Haus in diesen häßlichen Klotz aus dunkelgrauem Stein verwandeln konnte: Unter den Zinnen waren nun zum Beispiel Erkerfenster, die überhaupt nicht zum ursprünglichen Stil paßten. Das Gebäude – mit Ausblick auf den hübschen Dorfanger von Ashdown Dean – hockte auf der Anhöhe wie eine fette Kröte auf einem Lilienblatt.
    Carrie lief, von der Terrasse aus nicht zu sehen, durch den schützenden Schatten der Weiden, durch riesige Dahlien hindurch. Plötzlich tauchte zwischen Begonien und Rittersporn ein Sonnenhut auf, und die Baronin fragte sie, wo sie gewesen sei.
    Carrie antwortete mit einer Gegenfrage. « Gärtnern Sie etwa hier draußen?» Und stellte unmißverständlich klar, daß sie niemals mit beringten Fingern eine Gartenschere anrühren würde.
    «Ab und zu hat man einen Anfall und muß sich

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